Wer hat eine Stimme, wenn es um LGBTIQ*-Thematiken geht? Nur direkt Betroffene? Oder auch Bezugspersonen? Da ich als trans* Mann direkt betroffen bin, legitimiert das meine Stimme. Ich kann aus meiner persönlichen Betroffenheit sprechen.
Aber wie viel hat meine Freundin zu sagen? Sie ist meine engste Bezugsperson und bekommt von meiner Transition und meiner Auseinandersetzung mit LGBTIQ*-Themen viel mit, außerdem befasst sie sich selbst damit. Sie beschreibt ihre sexuelle Orientierung als hetero, damit ist für sie kein Platz im herkömmlichen Verständnis von LGBTIQ*. Sie ist maximal eine Ally, eine Verbündete. Vor mir hatte sie noch nie Kontakt mit dem Thema und es hat eine Weile gedauert, bis sie sich sicher war, was es für sie bedeutet, mit einem trans* Mann zusammen zu sein. Schließlich hat sie festgestellt, dass es nichts an ihrer sexuellen Orientierung ändert und sie sich noch immer als hetero sieht. Obwohl sie cisgender und hetero ist, finde ich, dass sie ein Recht hat, mitzureden. Ihre Stimme ist reflektiert und spricht genauso wie meine aus Betroffenheit, wenn auch indirekter.
Sie hat zwar noch nie am eigenen Leib Gender-Dysphorie erfahren. Dennoch hat sie die Blicke erlebt, wenn sie mit ihrem Freund beim Frauenarzt in einem überfüllten Wartezimmer voller – Überraschung: Frauen – sitzt und ihr Freund aufgerufen wird. Wir haben stundenlange Gespräche über Trans* geführt, in denen fast jedes Problem zur Sprache kam, mit dem ich in den letzten Jahre konfrontiert war. Sie weiß über Trans* fast so gut Bescheid wie ich und kennt die Alltags-Struggles von der Notwendigkeit hin, Hormone immer (ungefähr) zur gleichen Tageszeit einnehmen zu müssen, oder den Schwierigkeiten eine nicht-Dyshporie-auslösende Bezeichnung für die Vulva/Vagina eines Mannes zu finden, der sie eben nicht Vulva/Vagina nennen möchte. Sie weiß, wovon sie spricht, wenn sie über Trans* redet. Und wenn nicht, wendet sie sich an mich.
Vor einiger Zeit war ich bei Bekannten eingeladen. Wir saßen nett zusammen und unterhielten uns. Nach einiger Zeit kamen wir auf Umwegen auf das Thema „Trans*“ zu sprechen, wobei sich die meisten Anwesenden dabei weitaus weniger gewählt ausdrückten und auch Worte verwendeten, die von Betroffenen als beleidigend empfunden werden können. Vermutlich machten sie dies nicht aus einer bösen Absicht heraus, sondern vielmehr aus Unwissenheit. Es entstand eine lebhafte Diskussion rund um die Thematik, in der verschiedene Meinungen offenbart wurden. Manche taten Menschen mit diesem Hintergrund ihren Respekt kund und andere sagten, dass es doch gar keine so große Sache sei. Und was es überhaupt solle, dass ständig diese „trans* Menschen“ in irgendwelchen Medien zu sehen wären. Einer erzählte, dass er eine Sendung über jemanden gesehen hatte, der sich „umoperieren“ ließ, und dann „fast“ so aussah wie eine Frau. Jemand anderes meinte, dass Trans* für ihn ein definitives K.O.-Kriterium für eine Beziehung wäre.
Als ich in die Runde fragte, wer jemanden kenne, der trans* sei, wurde es still.
Tatsächlich rührten alle genannten Fakten und Informationen hauptsächlich aus der ein oder anderen Dokumentation im Fernsehen, der letzten Staffel Dschungelcamp oder der BILD-Zeitung.
Die stattfindende Diskussion stützte sich auf zum Großteil unterhaltsam oder reißerisch aufbereitete Fakten aus mehr oder weniger seriösen Informationsquellen, deren hauptsächliches Ziel es ist, zu unterhalten. Hin und wieder kommen dort trans* Menschen zu Wort, deren Geschlecht auch gerne als „Schicksal“ bezeichnet in einem bestimmten Licht wiedergegeben wird. Oft geprägt von viel Leid. Ich möchte nicht leugnen, dass dieser trans* zu sein mit Leid und oft auch noch nach der Transition bestehenden Unsicherheiten verbunden ist – jedoch ist Leid auch nicht das Einzige, was trans* zu sein ausmacht. Dass nicht zwangsläufig das tatsächliche Leben der Personen dargestellt wird, sondern es auch medial verzerrt wird, kam meinen Bekannten nicht in den Sinn. Dramatisch aufbereitete Geschichten verkaufen sich nun mal auch besser als solche, die mitten aus dem Leben gegriffen sind.
Berichte über trans* Personen oder ihre Inklusion in Talkshows und ähnlichen Formaten haben die Macht, gerade den Teil der Bevölkerung aufzuklären, der zu dieser Thematik noch kein Vorwissen hat. Wie man im Fall meiner Bekannten sieht, findet dies jedoch nicht immer ausreichend statt und beinhaltet zum Beispiel schon im Ansatz falsche Terminologien.
So werden Begriffe wie „umoperiert“ oder „Geschlechtsumwandlung“ verwendet – Bezeichnungen, die veraltet und respektlos sind. Denn „Umwandlung“ oder „umoperieren“ suggerieren, dass man durch diese Operationen zu etwas wird, das man zuvor noch nicht war. Tatsächlich sind trans* Menschen auch schon vor solchen medizinischen Schritten dem Geschlecht zugehörig, mit dem sie sich identifizieren – dies ist nur nach außen nicht unbedingt sichtbar. Durch Operationen oder andere medizinischen Maßnahmen wird dann lediglich das Aussehen dem empfundenen Geschlecht angeglichen. So sollte man zum Beispiel besser „Geschlechtsangleichung“ anstatt der beiden oben genannten Begriffe verwenden. Die Medien leisten zwar bereits Aufklärungsarbeit, jedoch nicht immer ausreichend und mit den richtigen Fakten. Zum Beispiel bringen sie thematisch uninformierten Menschen Vokabeln wie „Geschlechtsumwandlung“ bei, die von vielen Menschen aus der trans* Community als problematisch gesehen werden.
Ich betrachte es als problematisch, wenn Personen, die nicht einmal indirekte betroffen sind, meinen, sie müssten beim Thema Trans* mitreden, als wüssten sie genau, wovon sie sprächen. Zumeist wissen sie es nicht. Es ist gut, dass viele Leute trans* Menschen unterstützen, ohne eine direkten Bezug zu haben. Aber bevor man Annahmen über Leute trifft, die trans* sind oder eine andere Komponente des LGBTIQ*-Spektrums verkörpern, sollte man sich erst einmal mit ihnen unterhalten und so nah wie möglich in ihre Fußstapfen treten – denn ganz von außen ist es oft schwer vorstellbar, was das Leben dieser Personen wirklich beeinflusst und mit welchen Arten von Diskriminierung und Problemen sie täglich konfrontiert sind. Einen Film oder Bericht über eine trans* Person im Fernsehen gesehen zu haben, ist ein Anfang – aber es gibt kein Recht zu urteilen oder zu glauben, man hätte eine legitimierte Stimme.
Ganz im Gegensatz zu der meiner Freundin, die mich zu jedem Arzttermin begleitet. Manchmal bin nicht ich es, der zuerst seine Stimme erhebt, um in bestimmten Situationen für trans* Menschen einzustehen, sondern sie wird laut. Wenn ich jemanden für mich sprechen lassen würde, dann am ehesten sie. Näher als in der Position des festen Partners kann man als Außenstehender wohl kaum erleben, was es heißt, trans* zu sein.