Wie muss man aussehen, um ein Mann zu sein? Wie muss man sein, um als Frau zu gelten? Welche Voraussetzungen gilt es zu erfüllen?
Weil wir es so gelernt haben, schreiben wir den Geschlechtern bestimmte Attribute und äußerliche Erscheinungsmerkmale zu. Zum Beispiel werden Brüste und ein breiteres Becken als Merkmale gesehen, die für Weiblichkeit und das Frausein stehen. Nur gibt es auch Männer mit weiteren Hüften und solche, die Brüste haben – sowohl unter trans* Männern, als auch unter cis Männern. Eben wie es auch Frauen ohne Brüste gibt – nicht nur trans* Frauen, sondern auch cis Frauen.
Viele Menschen sind von Personen irritiert, deren Aussehen im Widerspruch zu dem Geschlecht steht, mit dem sie sich identifizieren. Oder von Personen, die Merkmale von zwei Geschlechtern verkörpern und damit nicht eindeutig zuzuordnen sind. Wie zum Beispiel Conchita Wurst, die 2014 den Eurovision Song Contest gewann. Bei ihr handelt es sich um die Kunstfigur eines Mannes namens Tom Neuwirth. Sie sieht aus wie eine Frau, hat aber einen Bart. Was ist sie denn nun? Einige Bekannte in meinem Umfeld verwirrt diese Frage restlos. Sie wissen nicht, was sie mit Conchita Wurst anfangen sollen. Wie es sein kann, dass eine scheinbare Frau einen Bart hat, verstehen sie nicht. Dass Conchita Wurst nicht trans* ist, sondern einfach nur die Kunstfigur eines Mannes, ebensowenig. Auf die Idee, einfach mal Google zu bemühen und sich zu informieren, kamen sie leider nicht von selbst. Stattdessen verloren sie sich in Diskussionen über das „wahre“ Geschlecht dieser Frau mit Bart.
Tom Neuwirth legt es mit Conchita darauf an, zu provozieren, fühlt sich aber dennoch als Mann wohl. Er muss nicht wie ein Mann aussehen, um einer zu sein. Er ist ein cis Mann, dessen Geschlechtsidentität nicht davon beeinflusst wird, dass er sich als Frau präsentiert.
So ähnlich geht es trans* Menschen auch. Nur dass sie sich eben jahrelang gezwungenermaßen als das Geschlecht präsentieren müssen, mit dem sie sich nicht identifizieren – und dass es sich dabei nicht um eine Kunstfigur handelt, sondern um einen erheblichen Leidensdruck. In ihrem Inneren wissen sie sich als Mann oder als Frau, obwohl das in ihrem äußeren Erscheinungsbild nicht unbedingt sichtbar ist. Das macht es für ihr Umfeld schwer, sie entsprechend wahrzunehmen.
Bloß weil etwas nicht direkt sichtbar ist, heißt jedoch nicht, dass es nicht existiert oder weniger legitim ist. Gefühle kann niemand sehen, dennoch verleugnet niemand ihre Existenz. Jahrelang stand mein Äußeres im Gegensatz zu meinem inneren Empfinden. Obwohl mein Körper nach außen hin als weiblich gelesen wurde, identifizierte ich mich als Mann. Es fällt schwer, diesen scheinbaren Widerspruch zu verstehen. Jemand sieht aus wie das eine Geschlecht, behauptet aber, er wäre das andere.
Dann gibt es noch Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen – sondern irgendwo dazwischen stehen. Sie möchten sich nicht festlegen, da sie sich weder komplett als männlich, noch als weiblich sehen. Ihnen ist es lieber, neutral angesprochen werden. Oder sie fühlen sich heute eher männlich, und morgen eher weiblich. Oder sie lehnen Geschlecht für sich komplett ab.
Ziemlich verwirrend, das Ganze.
Um etwas verstehen und erfassen zu könne, hilft es vielen, wenn sie Menschen in eine bestimmte Kategorie stecken. Wenn Merkmale nicht eindeutig sind oder das äußere Erscheinungsbild nicht mit der eigentlichen Geschlechtsidentität einer Person übereinstimmt, neigen sie dazu, unbedingt herausfinden zu wollen, ob die Person nun ein Mann ist, oder eine Frau. Als ich jünger war, habe ich diese Situation oft erlebt. Da ich relativ burschikos aussah, aber dennoch Merkmale besaß, die was „weiblich“ gelesen werden konnten, wurde hinter meinem Rücken oft getuschelt, ob ich denn nun ein Junge oder ein Mädchen sei. Erst seitdem ich eindeutig als Mann gelesen werde, bin ich nicht mehr mit dieser Problematik konfrontiert.
Geschlechtsidentität kann auch fließend sein. Das macht eine Zuordnung zu bestimmten Kategorien schwierig und uneindeutig. Genauso wie die Tatsache, dass es nicht nur die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ gibt, sondern auch „inter“ oder „non-binary“, was so viel hießt wie nicht binär, also außerhalb des Verständnisse, dass es nur zwei Geschlechter gibt.
Wenn äußerliche Merkmale keine Voraussetzung sind, um einem bestimmten Geschlecht zugehörig zu sein, wirft es jegliche Kategorisierung anhand äußerlicher Merkmale über den Haufen – mal ganz vorne angefangen an dem Punkt, dass der Besitz einer Vulva/Vagina oder eines Penis noch nicht bestimmen muss, welchem Geschlecht man sich zugehörig fühlt. Geschlechtszugehörigkeit wird dadurch weniger greifbar und ist eben nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. Das erfordert ein Umdenken. Es ist nunmal eine Fehlannahme der Gesellschaft, dass sich das Geschlecht einer Person anhand ihres Aussehens erkennen lässt.
Geschlechter sind nicht so eindeutig, wie einem schon allein vorgegaukelt wird, wenn man in die Spielwarenabteilung geht. Man kann vielleicht noch einfacher akzeptieren, dass rosa nicht nur für Mädchen und blau nicht nur für Jungs ist. Aber dass Menschen einem Geschlecht zugehörig sein können, ohne danach auszusehen oder dass es abseits von den zwei Kategorien „männlich“ und „weiblich“ noch etwas anderes geben soll, passt nicht in ein konservatives Weltbild.
Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass alles schwarz-weiß ist. Um ein Mann zu sein, reicht es aus, sich als Mann zu fühlen. Um eine Frau zu sein, reicht es aus, sich als Frau zu fühlen. Die einzige Voraussetzung einem bestimmten Geschlecht anzugehören ist, dass man sich damit identifiziert. Und wenn man sich keinem Geschlecht zuordnen möchte, dann ist man eben einfach nicht-binär, anstatt sich als Mann oder Frau klassifizieren zu müssen.
Eigentlich gar nicht so schwer.
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