Lange habe ich mir überlegt, ob ich diesen Artikel überhaupt schreiben soll, weil es darin nicht um meine eigenen Erlebnisse geht, sondern um Erlebnisse, die meine Freundin gemacht hat. Ich habe mich aber dazu entschieden, ihn trotzdem zu schreiben, weil die Geschehnisse, um die es geht, repräsentativ sind für die Belästigung, die viele Frauen täglich erleben. Weil es wichtig ist, darüber zu sprechen. Und, weil ich, obwohl ich heute als Mann wahrgenommen werde, auch weiß, wie sich die „weibliche“ Seite dieser Geschichte anfühlt.

Vor ein paar Tagen rief meine Freundin mich an und erzählte mir, dass ihr ein Mann „You’re so sexy“ ins Ohr hauchte, als sie gerade den Müll wegbrachte. Einfach so, während sie in Jogginghose und mit gelben Säcken in der Hand die Straße entlang zum 500 Meter weit entfernten Müllcontainer ging. Ich bekam eine Gänsehaut, als ich mir diese Situation vorstellte. Sie bestritt normal ihren Alltag und wurde dabei wieder einmal Opfer von „Catcalling“ – sexueller Belästigung, die sich darin manifestiert, dass eine Frau auf offener Straße zum Beispiel angemacht wird oder ihr zugepfiffen wird. 

Ich war entsetzt und angeekelt zu gleich. Was dachte sich dieser Mann bloß, als er jegliche Grenzen des „personal space“ überschritt, um ihr ins Ohr zu atmen? Und was hat er sich davon erhofft?  

Immer wieder, wenn sie mir so etwas erzählt, frage ich mich, welch verdrehtes Bild Männer von Frauen haben, dass sie sich so verhalten. Wie sie Frauen wahrnehmen, wie erhaben sie sich fühlen müssen, um zu meinen, sie würden Frauen damit auch noch ein Kompliment machen. 

Ich kann als Mann ganz entspannt die Straße entlang laufen und meine Freundin wird auf demselben Weg angegafft, angesprochen und es wird ihr in den Nacken geatmet. Und dann gibt es Leute da draußen, die behaupten, es gäbe keinen Sexismus (mehr). Und es gibt auch Leute, die behaupten, dieses Verhalten würde nicht unter sexuelle Belästigung fallen. Denn es wären ja eigentlich Komplimente den Frauen gegenüber. Nur dass sich Frauen durch Catcalling in der Realität nicht wertgeschätzt, sondern erniedrig, bedroht oder belästigt fühlen.

In diesem Fall sind das Problem klar die Männer. Männer, deren Verhalten ich als Mann einfach nicht nachvollziehen kann. 

Für sie scheint es ihr gegebenes Recht zu sein, sich respektlos zu verhalten und Frauen mit ihren Worten auf der Straße zu belästigen. Dass meine Freundin sogar in Jogginghose und mit Müllbeutel in der Hand angemacht wird, zeigt, dass es egal ist, wie die Frauen aussehen. 

Hauptsache sie sind Frauen, dann MUSS man sie als Mann ja ansprechen und hat in jedem Fall das Privileg dazu. Frauen, die Ausschnitte haben oder kürzere Kleider tragen würden es ja regelrecht provozieren, dass man sie anmacht. Und wenn dann was passiert, seien sie selbst Schuld. Sätze, die ich zu oft gehört habe. 

Das Problem sind nicht die Frauen. Weder Frauen mit kurzen Röcken oder tiefen Ausschnitten, geschminkte Frauen oder Frauen mit hohen Schuhen, noch Frauen in Jogginghosen und Turnschuhen, oder Frauen, die nachts alleine nach Hause laufen. Das Problem ist sexistisches Verhalten und die Selbstverständlichkeit, mit der es von manchen Männern praktiziert wird. Männer, die Frauen als sexualisierte Objekte betrachte, die in ihnen keine ebenbürtigen Menschen sehen, sondern Freiwild, das es zu jagen gilt. 

Ich bin angeekelt von der Selbstverständlichkeit, mit der Männer meiner Freundin auf der Straße Sätze wie „You’re so sexy“ ins Ohr raunen, wenn sie den Müll zur Mülltonne bringt.

Männer, die ihr hinterherpfeifen oder hinterherrufen. Männer, wegen denen sie sich Gedanken macht, was sie anziehen soll, wenn sie aus dem Haus geht – damit sie diese Kommentare nicht auch noch provoziert. Damit niemand sagen kann, es sei ihre Schuld. Männer, wegen denen sie denkt, es wäre ihre Schuld, angebaggert zu werden, wenn sie sich schön angezogen hat. Wegen denen sie nachts Angst hat, wenn sie von der U-Bahn Haltestelle nach Hause läuft, mit dem Pfefferspray in der Hand.

Meine Freundin ist emanzipiert, sie ist Feministin. Aber sie hat auch existentielle Ängste. Und eine solche Angst ist es, ob nachts oder tagsüber, von einem Mann in eine dunkle Ecke oder sonst wohin gezerrt zu werden. Und damit das nicht passiert, tut sie alles mögliche. Sie, die eigentlich stolz auf ihren Körper ist, die stolz darauf ist, eine Frau zu sein und die sich nicht von einer Gesellschaft, die von Männern dominiert wird, dominieren lassen will. 

Neulich wurde sie in der U-Bahn auf dem Weg zum Arzt von einem Mann angesprochen, der meinte, er hätte sie von hinten so schön gefunden, dass er sie einfach ansprechen musste. Soll das ein Kompliment sein? Eine Frau auf ihren Hintern und ihren Rücken zu reduzieren und das als Anlass zu nehmen, sie anzusprechen? 

Der Mann fragte sie mehrfach nach ihrer Nummer. Sie sagte ihm direkt ins Gesicht, dass er ihre Nummer nicht bekommen würde. Der Mann ließ sie nicht in Ruhe, begleitete sie sogar bis zum Arzt. Vor dem Eingang der Praxis sagte sie ihm erneut, dass er ihre Nummer nicht bekommen würde.

Er wirkte enttäuscht, als hätte er sich mehr erhofft. Und das, obwohl sie von Anfang an mit offenen Karten gespielt hatte. Eine Fehlinterpretation eines Neins, das aus irgendwelchen Gründen nicht als volles Nein akzeptiert wird, sondern im Kopf des Mannes mindestens zu einem Vielleicht, wenn nicht sogar zu einem Ja, falls man aufdringlich genug ist, umgewandelt wurde.

Ich weiß, dass nicht alle Männer so sind. Es gibt viele Männer, die sich von diesem Text nicht angesprochen fühlen müssen. Das Problem ist aber, dass es Männer gibt, die sich so verhalten, wie in diesem Text beschrieben. Sogar so viele, dass meine Freundin innerhalb von 24 Stunden mehrfach angesprochen wird oder ihr Kommentare zu ihrem Aussehen zugerufen werden.

Genau diese Männer müssen endlich verstehen, dass sie nicht über Frauen stehen und dass Frauen keine Objekte sind, sondern gleichwertige Menschen. Es kann nicht sein, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der sich Frauen von Männern auf der Straße bedroht fühlen.

Ein erster Schritt um dafür zu sorgen, dass meine Freundin und andere Frauen sich sicherer fühlen, wäre schon mal, ihnen als Mann auf der Straße nichts hinterherzurufen und erst recht nichts in Ohr zu raunen. Ein Nein muss als Nein zu akzeptiert werden, und darf nicht zu einem Vielleicht oder einem Ja uminterpretiert werden.

Ich bin ein Mann und für mich ist es selbstverständlich, dass ich Frauen auf der Straße keine erniedrigenden Kommentare hinterherrufe, die sich auf ihr Aussehen beschränken oder ihnen anzügliche Sätze ins Ohr raune. Dass ich nachts die Straßenseite wechsele oder meine Schritte verlangsame, wenn vor mir eine Frau läuft, die sich immer wieder zu mir umdreht, um zu sehen, ob von mir eine Gefahr ausgeht. Es ist für mich selbstverständlich, dass Catcalling sexuelle Belästigung ist und eben kein Kompliment. 

Andere Männer müssen das doch auch verstehen können, denn so schwierig ist es nicht. Und selbst wenn man es nicht versteht, kann man sich trotzdem einfach zusammenreißen  und sich so verhalten, dass Frauen sich nicht bedroht oder belästigt fühlen. 

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Männer es auch unangenehm fänden, wenn fremde Menschen ihnen nachstellen würden, ihnen ständig auf offener Straße Anzüglichkeiten ins Ohr flüstern würden, die sie auf ihr Geschlecht reduzieren, wie „Nice ass“, ihnen auf den Hintern starren würden oder hinterherpfeifen würden. Menschen, von denen sie sich nachts bedroht fühlen würden, weil sich sich ihnen körperlich unterlegen fühlen und Angst vor sexuellen Übergriffen haben. 

Nur, dass Männer in den meisten Fällen nicht auf offener Straße von Frauen sexuell belästigt werden und dass Männer in der Regel kein Opfer von Catcalling sind. Wahrscheinlich, weil man Frauen nie beigebracht hat, dass es okay ist, Männer auf ihr Aussehen und auf ihr Geschlecht zu reduzieren. Weil ihnen niemand beigebracht hat, dass sie ein Recht darauf haben, sich überlegen zu fühlen.

Männer sind, wenn überhaupt, das „stärker“ Geschlecht, weil erhöhtes Testosteron einen Vorteil beim Muskelaufbau liefert. Aber was sie auf keinen Fall stark macht, ist die beschriebene Art, mit Frauen umzugehen. Das spricht mehr für menschliche Schwäche als für irgendeine Art von Stärke. Dass man als Mann denkt, man könne sich alles nehmen und dass einem alles, was man möchte, zustehen würde, gilt nicht mehr. Und eigentlich hat es nie gegolten. 

Es mag vielleicht vor einigen Jahren oder gar Jahrzehnten ein Frauenbild gegeben haben, das Frauen als schwach charakterisierte und Männer über sie stellte. Doch diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei. Jetzt müssen es manche nur noch schaffen, diese Veränderung wahrzunehmen, ihr Verhalten zu überdenken und es anzupassen.