„Ach, Homosexuelle sind doch schon lang nicht mehr benachteiligt. Und du brauchst um die Trans*-Thematik nicht so einen großen Aufstand machen. Da sind längst alle cool mit.“
Das ist ein Satz, bei dem ich nicht anders kann, als zu einer weit schweifenden Erklärungen anzusetzen, in der ich die ungefähr 1000 Gründe aufzähle, warum es immer noch wichtig ist, über LGBTIQ*-Themen und speziell Trans* zu sprechen und warum das Thema noch längst nicht abgehakt ist. Warum wir als Gesellschaft noch längst nicht dort angekommen sind, wo wir eigentlich hin sollten.
Es gibt inzwischen in Deutschland die Ehe für alle, aber damit haben sich noch nicht alle Probleme in Luft aufgelöst. Die Ehe für alle spricht für die sich annähernde Gleichberechtigung von homosexuellen Paaren mit heterosexuellen. Aber das ist noch längst nicht alles, was die LGBTIQ* Community beschäftigt.
Für viele Menschen innerhalb der Community hat sich in den letzten Jahren viel getan. Doch gerade trans* zu sein, ist heute noch immer kein Spaziergang. Warum es trans* Menschen auch heute, in der vermeintlich toleranten und offenen Gesellschaft in der sich jeder einen schwulen besten Freund wünscht oder Sachen sagt wie „Ein bisschen bi schadet nie“ noch schwer haben, darauf möchte ich in diesem Artikel eingehen. Natürlich möchte ich damit die Schwierigkeiten, denen cis Menschen innerhalb der Community gegenüber stehen, nicht klein machen. Ich möchte im Folgenden speziell auf die Hürden eingehen, denen trans* Menschen noch heute gegenüber stehen.
Ich habe in den letzten Jahren viel gesehen, viel erlebt und gehört. Ich selbst hatte das Glück, dass mein Umfeld trotz Unwissenheit über die Thematik sehr offen und tolerant reagiert hat. Das ist aber nicht repräsentativ und bedeutet nicht, dass niemand mehr bei seinem Coming-Out Probleme hat. Im Gegenteil.
Ich habe herzzerreißende Geschichten gehört, von den Menschen, die diese Geschichten am eigenen Leib erlebt haben. Mir hat ein Mann Mitte 30 erzählt, dass seine Mutter zu ihm sagte „Solche Leute wie dich hätte man früher vergast!“, nachdem er endlich den Mut aufgebracht hatte, sich bei ihr zu outen.
Eltern, die ihre Kinder lieber aus dem Haus schmeißen, als sich darauf einzulassen, dass ihr Kind gerade eine schwere Zeit durchmacht, bei der sie es eigentlich unterstützen müssten. Eltern, die den Kontakt zu ihren Kindern abbrechen und es Jahrzehnte später bereuen, wenn sie alt und krank sind und auf ein Leben zurückblicken, in dem sie das Wichtigste aus den Augen verloren haben – ihr eigenes Kind.
Ich saß Frauen Anfang 70 gegenüber, die Jahrzehnte und zwei Herzinfarkte brauchten, um endlich zu sich selbst zu stehen und um zu merken, dass ein Leben, in dem sie im falschen Geschlecht wahrgenommen wurden, kein Leben sein würde, das sie noch lange mitmachen könnten. Dass das Herz sonst irgendwann aufgeben würde. Dass die Beschwerden erst besser wurden, nachdem sie endlich den Mut gefasst hatten, zu sich selbst zu stehen. Ein Geheimnis und der Versuch, über 50 Jahre lang die Farce zu wahren, kann Menschen zerstören.
Ich bin in der privilegierten Situation, mich im 21. Jahrhundert geoutet zu haben, in dem bereits viel mehr Aufklärungsarbeit geleistet wurde als in den Jugendjahren eben dieser Frauen. Doch obwohl wir im 21. Jahrhundert leben, ist es heute immer noch alles andere als einfach, trans* zu sein. Die Gesellschaft ist zwar am Umdenken, die Zeiten ändern sich, doch es hängt noch viel des alten Stigmas wie eine dunkel Wolke über dem neuen Zeitalter.
Das erste Mal, als mich einem Arzt gegenüber outete, in der Hoffnung, dass mir endlich eine medizinische qualifizierte Person helfen könne, wurde mir eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Am Ende des Gesprächs wurde mir eine Überweisung in eine Klinik für psychisch kranke Menschen in die Hand gedrückt.
Laut ICD-10, der internationalen Klassifikation der Krankheiten, fällt Trans* unter Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen und wird als Störung der Geschlechtsidentität klassifiziert. Damit wird Trans* als ein Krankheitsbild dargestellt – was nicht ist. Wieso sollte ich krank sein, weil mir nach meiner Geburt ein falsches Geschlecht zugewiesen wurde?
Ich habe miterlebt, wie sich Eltern die Frage stellen, was sie falsch gemacht haben, wenn sich ihr Kind als trans* oder homosexuell outet. Als gäbe es jemanden, der Schuld trägt. Als wäre es etwas Negatives, für das man einen Sündenbock braucht, als wäre etwas schief gelaufen.
Für trans* Menschen hört es mit dem anfänglichen Coming-Out nicht auf. Es stellt eine Hürde dar, doch danach folgen viele weitere. Man hat mit dem Coming-Out womöglich den Wunsch einer Geschlechtsangleichung geäußert – diese muss allerdings noch vollzogen werden. Und dabei ist man ständig auf die Toleranz, Güte und das Verständnis anderer Personen angewiesen, welche die Macht haben, über einen zu entscheiden – und einem dem Weg zu ermöglichen oder einem Steine in den Weg zu legen. Es treten immer wieder Momente auf, in denen das eigene, sehr persönliche Schicksal in den Händen anderer Leute liegt – die möglicherweise noch nie etwas mit einer trans* Person zu tun hatten.
Ich denke an eine Situation, in der ich mit gerade 18 Jahren bei einem Gutachter saß, der die Macht hatte, darüber zu entscheiden, ob ich meinen Namen ändern können würde oder nicht. Er stellte mir viele, viel zu viele, sehr private Fragen zu meinem Sexleben. Ich sah es eigentlich nicht ein, diese privaten Details zu teilen, vor allem, weil ich nicht wusste, wie sie mit einer Namensänderung zusammenhängen sollten. Ich teilte sie trotzdem, weil meine Angst zu groß war, meine Namensänderung nicht anerkannt zu bekommen.
Ebenfalls mit gerade 18 saß ich im Studiensekretariat meiner damaligen Uni, um mich mit ein paar Vertreter*innen der Uni darüber zu beraten, wie ich bereits vor meiner offiziellen Namensänderung mit meinem neuen Namen auf Listen geführt werden konnte. Man sagte mir, diesen Fall habe man noch nie gehabt. Man könne da nichts machen.
Ein Jahr später saß ich im Büro meiner ehemaligen Schule und wollte ein neues Abizeugnis auf meinen rechtmäßigen neuen Namen beantragen. Man sagte, es würde dauern. Man wisse nicht, wie das gehe, den Fall habe man noch nie gehabt. Es musste im Kultusministerium angerufen werden, um nachzufragen, wie man das mit dem Zeugnis handhaben sollte – doch selbst dort wusste man nicht, wie man sich in einer solchen Situation verhalten sollte. Niemand wusste Bescheid, weil niemand darüber nachgedacht hatte. So wartete und wartete ich. Bis man mich schließlich als neuen Schüler im System anlegte, weil es keine Möglichkeit gab, den Namen in meiner alten Datei zu ändern.
Wie konnte man in all den Jahren diesen Fall weder an der Uni, noch an der Schule, noch scheinbar, wie mir erzählt wurde, im Bundesland jemals gehabt haben?
Während man mir an meiner alten Schule gerne entgegen kam und auch entgegen kommen musste, da meine Namensänderung zu dem Zeitpunkt bereits rechtmäßig war, stellte sich meine Uni quer. Nicht einmal, als ich bereits mit Hormonen angefangen hatte und eine tiefe Stimme hatte, wollten sie meinen Namen auf für meine Mitstudierenden einsehbaren Listen ändern. Damit wurde mir die Entscheidung genommen, vor wem ich mich outen wollte und vor wem nicht.
Die beschriebenen Situationen sind nur ein paar Momente, in denen ich mich im Laufe meiner Transition der Macht und der Güte anderer Menschen ausgeliefert gefühlt habe. Genau wegen solchen Situationen ist es wichtig, dass andere, auch nicht betroffene Menschen Bescheid wissen und aufgeklärt sind. Denn ich bin nicht die einzige Person, die so etwas erleben musste. Und ich bin nicht der einzige. für den sich die Transition wie ein nicht enden wollender Kampf mit immer neu aufkommenden Hindernissen gestaltete, von denen die meisten aus Unwissenheit und Intoleranz bestanden.
„Trans* sein ist doch inzwischen genauso in Ordnung, wie schwul zu sein!“ sagte ein Freundin neulich zu mir. Nachdem ich ihr von vielen Erfahrungen und Erlebnissen erzählt hatte, war sie verwundert. Der Kampf ist noch nicht vorbei, bloß weil wir die Ehe für alle haben und Diskriminierung der LGBTIQ* Community für Menschen, die hetero und cisgender sind, nicht sichtbar ist.
Trans* Menschen müssen noch immer viel zu private Details über ihr Leben preisgeben, um eine Chance auf einen Neustart zu haben. Eltern setzen ihre Kinder deshalb noch immer vor die Tür. Ich habe fast täglich das Gefühl hat, Aufklärungsarbeit leisten zu müssen, um für mehr Verständnis zu sorgen. Deshalb MUSS man noch einen großen Aufstand machen. Solange mich Menschen noch fragen, wie ich ohne Penis ein Mann sein kann, solange ich abwertende Kommentare höre, sind wir noch längst nicht da, wo wir eigentlich sein sollten.