Bei der letzten deutschen Bundestagswahl haben mich die Parteiprogramme aufgewühlt. Da ich einer Minderheit angehöre, sehe ich beim ersten Blick in ein Parteiprogramm nach, wie die jeweilige Partei zu LGBTIQ*-Angelegenheiten steht. Hier bin ich auf Verschiedenes gestoßen. Es reichte von keinerlei Erwähnung von LGBTIQ*-Bewegung, über herablassend wirkende Zeilen zu der „ideologischen Idee“, Gender und Sex getrennt zu betrachten, bis hin zu Aussagen über die Notwendigkeit der Unterstützung dieser Minderheit.

Im Programm der CDU wurden LGBTIQ*-Menschen komplett verleugnet. Es gab keinen Laut darüber, dass es auch andere Familienmodelle gäbe als Vater-Mutter-Kind. Kein einziges Mal fiel im gesamte Parteiprogramm ein Wort wie „homosexuell“, „trans*“ oder etwas anderes, das im Akronym „LGBTIQ*“ beinhaltet ist.

Und genau diese Partei, die sexuelle Vielfalt verleugnet, ist die stärkste deutsche Partei. Wahl für Wahl wird sie wieder gewählt und erhält die meisten Stimmen, sie scheint der Fels in der Brandung in einer Welt im kontinuierlichen Wandel zu sein. Das vertraute Alte, an dem festgehalten wird, um nicht den Halt zu verlieren.

Es sollte meiner Meinung nach kritisch betrachtet werden, dass eine Partei, die das Wort „christlich“ sowohl im Namen, als auch im Regierungsprogramm verkörpert, in einem Land, in dem Kirche und Staat eigentlich voneinander getrennt sind, eine solche Macht hat. Christliche Werte haben nichts in der Politik zu suchen. Die Zeiten sind längst vorbei. Spätestens, seitdem in Deutschland eine Großzahl andere Religionen vertreten ist als nur die christliche. Und eigentlich schon seitdem sich darauf geeinigt wurde, die Kirche vom Staat zu trennen.

Für christliche Urteilte über Handlungen und Entscheidungen hat sich die Kirche eine Institution wie den Papst ausgedacht. Dazu braucht es nicht die Bundeskanzlerin. Die Kanzlerin, die sich immer noch gegen die Ehe für Alle ausspricht, nachdem sie schon längst beschlossen ist und das nicht nur, um bloß keine Ü60 Wähler*innen zu verlieren. Jeder sollte glauben, was er möchte, aber wenn es um Entscheidungen über die Rechte von LGBTIQ*-Menschen über die Verwendung von Steuergeldern bis hin zur Außenpolitik geht, von denen nicht nur Deutschland, sondern gegebenenfalls auch die ganze Welt betroffen ist, sollte die Bibel geschlossen bleiben.

Die Grünen, die SPD und die Linken sprachen zumindest davon, wie wichtig es sei, sich für die Rechte der queeren Bevölkerung einzusetzen. Teilweise halbherzig erscheinende Paragraphen zu einer notwendigen Änderung des Transsexuellen-Gesetzes, zu Respekt vor sexueller Vielfalt, oder der Notwendigkeit, dass das „Wohl des Kindes“ immer im Vordergrund zu stehen habe, wie auch immer das zu verstehen ist. Ich fühle mich von der regulären Politik oft überhört, unterrepräsentiert und zu einer Nebensache degradiert. Höchstwahrscheinlich liegt dies auch daran, dass der geschätzte Anteil der trans* Personen in der Bevölkerung bei 0,005% liegt.

Selbst bei den Parteien, die dem LGBTIQ*-Teil der Bevölkerung Aufmerksamkeit schenken, füllen Vorhaben zur Unterstützung dieses Bevölkerungsteils von vielen Seiten nur wenige Zeilen. Meiner Meinung nach zu wenig, denn es gibt noch immer zu viele diskriminierende Regelungen, die LGBTIQ*-Menschen das Leben erschweren. Und um weiteres Umdenken in der Gesellschaft bezüglich dieser Thematik zu fördern, wäre ein öffentliches Einstehen der Politik hilfreich. Doch ich bin auch über wenige Zeile mit politischen Vorhaben zur Unterstützung von LGBTIQ*-Menschen froh.

Dann gibt es noch eine Partei, die seit einigen Jahren immer mehr an Popularität gewinnt. Wenn ich mir ihr Programm anschaue, macht es mich nicht nur wütend, sondern verunsichert mich auch. Ich spreche von der AFD, deren Anzahl an Sitzen tendenziell steigt. Was sagt das über die Gesellschaft aus? Dass sie sich wenig informiert? Dass sie Angst vor Flüchtlingen und Veränderungen in einer dynamischen, globalisierten Welt voller Missstände hat?

Laut der AFD (AFD Bundestagswahlprogramm 2017) scheint mit mir etwas nicht zu stimmen. Ich lebe wohl nach der „ideologischen Vorstellung, dass das natürlich Geschlecht und das soziale Geschlecht voneinander völlig unabhängig seien“ (S.54). Diese Gender-Ideologie widerspreche „sowohl den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Biologie und der Entwicklungspsychologie als auch der lebenspraktischen Alltagserfahrung vieler Generationen“ (S. 53). Forschung in diesem Bereich dürfe nicht weiter unterstützt werden.

Ich frage mich, wie Trans* den lebenspraktischen Alltagserfahrungen vieler Generationen widersprechen kann, wenn es seit Jahrhunderten Berichte über trans* Personen in den verschiedensten Kulturen gibt. Wenn man laut der AFD über meine Situation und andere LGBTIQ*-Themen im Schulunterricht im Rahmen einer Einheit über sexuelle Vielfalt aufklären würde, würde das Kinder in ihrer Entwicklung negativ beeinflussen. Vor allem, wenn das Thema in Kitas zur Sprache kommen soll, wird von einer sogenannten „Frühsexualisierung“ (S. 54) gesprochen. Kinder würden durch Aufklärung über sexuelle Vielfalt in ihren Identitäten verwirrt und es würde sie in ein „Schamgefühl“ versetzen.

Die Partei spricht sich klar gegen geschlechtsneutrale Sprache und gegen Aktionen aus, die auf Unterschiede in der Behandlung von Männern und Frauen aufmerksam machen. Familie soll in ihren Augen nur Vater-Mutter-Kind (S. 53) beinhalten und sie spricht sich klar gegen eine weitere Auffassung des Begriffes Familie aus.

Zwischen den Zeilen geht hervor, dass die Partei keinen Raum für LGBTIQ*-Menschen sieht und sie sowohl als Störfaktor, als auch als nicht legitime Mitglieder der Gesellschaft betrachtet. Im Gegensatz zur CDU, in der viele Ansichten der Politiker*innen auf ihren (altmodischen) religiösen Ansichten basieren, wirken die Positionen der AFD weitaus aggressiver und weiter rechts.

Das Parteiprogramm ist in einfacher Sprache formuliert, immer wieder gibt es zusammenfassende, prägnante Sätze, die es leicht zu lesen machen. Wobei ich wage zu bezweifeln, dass viele Wähler Parteiprogramme durchlesen, bevor sie ihr Kreuzchen setzen.

Wenn man selbst keiner Minderheit angehört und auch keine Gedanken an Minderheiten verschwendet, wählt man vielleicht die AFD oder eine andere Partei, die sich nicht für Minderheiten, sondern eher für das allgemeine „Volk“ einsetzt. Nur frage ich mich, wie man Parteien wählen kann, deren Programme so klingen, als wären sie in einer Zeit vor jeglichem Feminismus und der Emanzipation der Frau entstanden. Ich bin froh, dass es in Deutschland keine Alleinherrschaft von Parteien gibt, sondern immer verschiedene Parteien vertreten sind.

In meinem Studium treffe ich auf Mitte 20-Jährige, die mir in Gesprächen über Politik offenbaren, wen sie bei der letzten Wahl gewählt haben. Wenn ich sie nach dem konkreten Grund dafür frage, oder danach, wofür die jeweilige Partei in ihrem Wahlprogramm steht, kommt nach einigem Hin und Her manchmal heraus, dass sie nur diese Partei nur gewählt haben, weil ihre Eltern das auch machen. Da frage ich mich, wie man mit Mitte 20 noch nicht reflektiert genug und so wenig an der Politik interessiert sein kann, dass man sich keine Zeit nimmt, sich eine eigene Meinung zu bilden.

Ich würde mir von anderen wünschen, über gesellschaftliche Minderheiten nachzudenken, bevor sie ihr Kreuzchen machen. Man kann sich auch für Themen einsetzen, von denen man nicht direkt betroffen ist. So befürworte ich die Aufnahme von Geflüchteten, obwohl ich nicht selbst ein Geflüchteter bin. Mir erscheint das nicht notwendig, um zu sehen, wie wichtig die Unterstützung von Minderheiten mit einer schwierigen Stellung in der Gesellschaft ist.

Vielleicht seid ihr selbst nicht LGBTIQ*, aber ihr habt es in der Hand, Parteien zu stärken, die diesen Menschen maßgeblich schaden könnten. Hierfür reicht lediglich ein Blick in die USA: Seitdem Donald Trump dort Präsident ist, ist es trans* Schüler*innen rechtlich nicht erlaubt, die öffentlich Toiletten aufzusuchen, die mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmen.

In Amerika fürchten nicht nur trans* Menschen, sondern auch weitere Menschen im LGBTIQ*-Spektrum oder Angehörige  anderer Minderheiten um ihre Rechte. Eine ähnliche Situation scheint in Deutschland unwahrscheinlich, dennoch möglich.