Von (k)einem Penis und Privilegien
Ich finde, dass es keinerlei körperliche Attribute gibt, die Männlichkeit ausmachen sollten. Es sollte vor allem eine Selbstbezeichnung sein, die das ausmacht.
Das bedeutet: Ich sage, dass ich männlich bin, deswegen bin ich männlich. Und nicht, weil ich (k)einen Bart und/oder (k)einen Penis habe.
Gut möglich, dass ich diese Aussagen nur treffen kann, weil ich in der Gesellschaft selbstverständlich als Mann gelesen und wahrgenommen werde (solange ich mich nicht nackt ausziehe oder von meiner Kindheit als „Mädchen“ erzähle), und deswegen in eine konventionelle Schublade passe.
Ich bin nicht mehr damit konfrontiert, dass Menschen mein Geschlecht nicht entsprechend meiner Identität wahrnehmen und es infrage stellen. Für mich liefert mein Geschlechtsausdruck und die Wahrnehmung von mir in der Gesellschaft keinen täglichen Kampf mehr.
Damit hinterfrage ich Männlichkeit aus der privilegierten Position heraus, dass mein Geschlechtsausdruck nicht mehr in Frage gestellt wird und ich selbstverständlich als Mann wahrgenommen werde. Und weil ich meistens für cis gehalten werde, wird mir nicht mit den Anfeindungen begegnet, die Menschen erfahren, die eben nicht sichtbar dem binären Verständnis von Geschlecht entsprechen.
Meine Überlegung wäre eine andere, wenn ich nicht in dieser Position wäre. Zu diesem Schluss komme ich, wenn ich daran zurückdenke, wie wichtig es mir zu Beginn meiner Transition war, in das binäre Verständnis von Geschlecht zu passen. Ich strebte ein Cis-Passing an und verschwieg, dass ich trans* bin.
Ich finde auch, dass es keine Verhaltensweisen gibt, die Männlichkeit (oder Weiblichkeit) ausmachen sollten. Mir erscheint es lächerlich, dass die Gesellschaft behauptet, um ein „richtiger“ Mann oder eine „richtige“ Frau zu sein, müsste man sich so und so verhalten. Ich würde an diesem Punkt wieder sagen, dass, meine Verhaltensweisen männlich (oder weiblich) sind, wenn ich sie so bezeichnen möchte. Wieder eine Selbstdefinition.
Warum ist es überhaupt so wichtig ist, in „männlich“ und „weiblich“ zu kategorisieren? Sollte nicht die eigentliche Frage sein, warum das nicht schon längst alles hinfällig ist?
Die Antwort, darauf ist, dass wir in einer heteronormativen Gesellschaft leben und es nun mal leider eine Tatsache ist (was es natürlich nur noch wichtiger macht, solche Kategorisierung zu überdenken, herauszufordern und sich solcher Kategorisierung bewusst zu sein!).
Für mich ist Männlichkeit, Gefühle zu zeigen und manchmal schwach zu sein. Fehler einzugestehen und auch mal stark zu sein. Mal laut zu sein, um gehört zu werden, und häufig auch leise zu sein, um zuzuhören.
Für mich ist Männlichkeit, mich mit mir selbst wohlfühlen und nicht so zu tun, als wäre ich jemand anderes, nur um irgendwo besser reinzupassen.
Für mich ist Männlichkeit, für andere da zu sein und mich um mich selbst zu kümmern, meine Handlungen und meine Wirkung auf mein Umfeld kritisch zu reflektieren und Verantwortung zu übernehmen.
Für mich ist Männlichkeit, für mich selbst und andere einzustehen.
Vieles davon scheint so selbstverständlich, dass man* sich die Frage stellt, wieso das überhaupt etwas ist, das für mich Männlichkeit ausmacht.
Eine sehr gute Frage. Für mich ist das alles Teil von Männlichkeit, weil es Teil meiner Identität ist – aber wenn ich so darüber nachdenke, kann es für mich genauso Teil von Weiblichkeit sein.
Gut möglich, dass es einfach Menschlichkeit ist und mit keinem Geschlecht assoziiert werden sollte, sondern einfach damit, ein Mensch zu sein. Nur leider ist es so, dass wir in einer patriarchal strukturieren Gesellschaft leben, in der wir nicht einfach alle als gleichwertig angesehen werden, unabhängig von dem Geschlecht, als das wir wahrgenommen werden. In der Erwartungen an uns gestellt werden, weil wir einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden.
Wir können die Existenz von Geschlechtern in der gesellschaftlichen Wahrnehmung nicht leugnen.
Denn das würde Probleme unsichtbar machen, die sowieso schon nicht sichtbar genug sind. Es ist eben nun mal so, dass zum Beispiel von Männern und Jungen erwartet wird, dass sie „männlich“ sind, was bedeutet, dass sie alles ablegen sollten, was auch nur irgendwie im Entferntesten mit „Weiblichkeit“ assoziiert werden könnte. Schon kleinen Jungs wird also beigebracht, dass sie keine Gefühle zeigen sollen und keine Schwäche zeigen sollen.
Jungs und Männer sollten nicht dazu gezwungen werden, alles abzulegen, was auch nur irgendwie als „feminin“ gesehen werden könnte, sondern dazu ermutigt werden, auch den den Teil von sich auszuleben, den die Gesellschaft mit Weiblichkeit assoziiert. Und es ist ein Fakt, dass Frauen in unserer Gesellschaft täglich mit Sexismus konfrontiert sind und dass auch mit „Weiblichkeit“ bestimmte Erwartungen verbunden sind. D
Ich kann für mich sagen, ich definieren „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ als das, was ich selbst darunter verstehe – aber dass in der Gesellschaft ein bestimmtes Verständnis von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ existiert, steht außer Frage. Genauso wenig, wie, dass dieses Verständnis gefährlich ist und patriarchale Strukturen und Sexismus fördert, anstatt ihnen entgegen zu wirken.
Die Aussage, wir seien alle Menschen und Geschlechter würden keine Rolle spielen, kann eigentlich nur von einem (Cis-)Mann kommen, der nie die Erfahrung gemacht hat, wegen seines Geschlechts unterdrückt oder diskriminiert zu werden. Sondern sich wegen seines Geschlechts auch noch in einer privilegierten Position befindet. Denn in unserer Gesellschaft als Mann wahrgenommen zu werden, bringt männliche Privilegien mit sich.
Das bedeutet, dass ich in unserer patriarchalen Gesellschaft Vorteile gegenüber anderen Geschlechtern habe, eben weil ich ein Mann bin beziehungsweise als einer gelesen werde. Diese Privilegien können sich unterschiedlich äußern. Zum Beispiel darin, dass ich mich nachts nicht unsicher fühlen muss, wenn ich alleine im Dunklen nach Hause laufe, oder darin, dass ich gutmöglich einen höheren Lohn bekommen würde, als eine Frau, die den gleichen Job ausübt wie ich.
Darin, dass mir zugehört hat, weil als Mann wahrgenommen werde, dass mir niemand wegen meinem Geschlecht irgendwelche Kompetenzen abspricht (wie meine Mathefähigkeiten oder meine Einpark-Skills), dass keine fremden oder bekannten Leute Kommentare zu meinem Aussehen machen oder mich auffordern, mal zu lächeln. Mir wird Raum zugestanden, ich muss ihn mir nicht nehmen, nicht erkämpfen, er ist einfach da.
Die Liste ist lang und das waren wirklich nur ein paar Beispiele, die nur unzureichend abdecken, was sich hinter männlichen Privilegien versteckt, aber es gibt das Internet und ihr könnt einfach mal „male privilege“ googeln.
Ein wichtiger Teil von Männlichkeit ist für mich, diese Privilegien wahrzunehmen und sie zu kennen.
Diese Privilegien sind für mich nicht selbstverständlich, weil ich einen Großteil meines Lebens auf der anderen Seite verbracht habe. Auf der Seite, auf der ich nicht nur als Frau gesehen wurde, sondern mich auch viele Menschen meinem Aussehen nach gar keinem Geschlecht zuordnen konnten.
Mir erscheint es absurd, dass die Privilegien einfach so aufgetaucht sind, als ich immer häufiger als Mann wahrgenommen wurde. Ich wünschte, es wären keine Privilegien, sondern Rechte für alle, unabhängig von ihrem Geschlecht. Aber gerade weil diese Privilegien Männern vorenthalten sind, habe ich sie und es ist meine Verantwortung, damit umzugehen und patriarchale Strukturen nicht zu fördern.
Ich muss die Privilegien wahrnehmen und kennen, um kein Mann zu sein, der anderen mit einer Selbstverständlichkeit Raum wegnimmt oder meint, ihm würde die Welt gehören oder zustehen.
Das ist ein Aspekt, der für alle Männer einen Teil ihrer Männlichkeit ausmachen sollte: zu erkennen, dass sie in einem patriarchalen System Vorteile haben, weil sie Männer sind und dass ihnen gar nichts selbstverständlich auf der Welt zustehen sollte, nur weil sie männlich sind.
Im gleichen Zuge, in dem ich mich damit beschäftige, was für mich Männlichkeit bedeutet, frage ich mich auch, was Weiblichkeit für mich bedeutet.
Ich habe lange nichts zugelassen, was aus heteronormativer, gesellschaftlicher Perspektive mit Weiblichkeit assoziiert werden könnte. Vor allem, weil ich das Gefühl hatte, mein Umfeld würde meine Männlichkeit in Frage stellen, wenn irgendetwas an mir „weiblich“ wäre.
Doch je mehr ich mir Gedanken mache, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass es für mich nichts gibt, das für mich per se männlich ist (außer, dass man seinen male privilege kennen muss!) oder weiblich.
Ich identifiziere mich mit meinem von der Gesellschaft als männlich gelesen Körper. Aber ich identifiziere mich nicht mit der Differenzierung zwischen männlich und weiblich, bei der davon ausgegangen wird, dass sowohl Männlichkeit als auch Weiblichkeit auf eine bestimmte Weise zu sein haben.
Deswegen definiere ich Männlichkeit für mich als etwas, das die Ansprüche trifft, die ich an mich selbst und meine Identität als Mensch habe. Ich identifiziere mich als trans* Mann, was sich daraus zusammensetzt, dass ich trans* bin, also meine Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlecht übereinstimmt, dass mir bei meiner Geburt zugeschrieben wurde. Und daraus, dass ich mich in einem Körper wohlfühle, der von der Gesellschaft als männlich gedeutete Attribute hat.
Auf persönlicher Ebene sind die Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit für mich genau das, was ich darunter verstehen möchte. Auf gesellschaftlicher Ebene gibt es jedoch konkrete Vorstellungen davon, was unter Weiblichkeit und Männlichkeit verstanden wird – und darüber gilt es, kritisch zu reflektieren und es offen zu hinterfragen.