Als ich mit 16 das erste Mal offiziell eine Freundin hatte, erzählte ich meiner Mutter davon. Ihre Reaktion war anfangs verhalten. Das sei nur eine Phase und würde vorübergehen. Es sei normal, sich als Teenager mal zum gleichen Geschlecht hingezogen zu fühlen. Aber man müsse dem nicht unbedingt nachgehen. Und wenn doch, dann nicht in der Öffentlichkeit.

Hätte ich einen Freund gehabt, hätte meine Mutter sich wahrscheinlich gefreut und ihren Freundinnen direkt davon erzählt. An den Gedanken, dass ich augenscheinlich für den Moment auf Frauen stand, musste sie sich erst gewöhnen.

(Später, nachdem sie sich daran gewöhnt hatte und es offensichtlich war, dass ich nicht nur eine Phase durchlebte, wurde sie zu meiner größten Unterstützerin. Doch zu dem Zeitpunkt waren wir davon noch ein Stück entfernt.)

Dass ich auf Frauen stand, war keine Phase.

Dass ich als mich als „lesbisch“ bezeichnete, jedoch schon. Ich kannte zu dem Zeitpunkt schlichtweg noch kein besseres Wort dafür, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühlte, mich aber selbst nicht als Frau identifizierte.

Als Kind hatte ich häufiger den Wunsch geäußert, mit einem Jungennamen angesprochen zu werden. Ich wollte, dass mich Freunde „Leo“ nannten. Ich wollte nur die Klamotten meiner Brüder tragen, ich wollte mich partout nicht verhalten, wie es sich für ein kleines Mädchen „gehörte“. Ich wollte Fußball spielen und mich dreckig machen, ich wollte Baumhäuser bauen und meine Haare ganz, ganz kurz tragen. Ich wollte mir nicht die Fingernägel lackieren und mit Puppen spielen oder mich frisieren lassen.

Ich wurde älter und ich wollte noch immer kurze Haare haben, ich wollte noch immer Jungenklamotten tragen. Ich hasste meinen Namen noch immer. Später sagte mein Umfeld mir, man habe „keine schlafenden Hunde“ wecken wollen und mich deshalb nie auf meine Geschlechtsidentität angesprochen. Die Hunde haben nicht geschlafen. Sie waren nur noch nicht verzweifelt genug, sich selbst beizubringen, Türen zu öffnen.

Nach außen hin sah mein ganzes Leben aus wie eine Phase.

Die Phase eines Mädchens, das sich auffällig stark wie ein Junge benahm und auch so aussah. Mein Umfeld nahm jedoch an, dass ich dieses Verhalten aber bestimmt wenn nicht bereits in der Pubertät, dann danach ablegen würde.

Als ich das Verhalten schließlich gar nicht ablegte und mit 18 eigene Entscheidungen treffen konnte, konnte ich endlich etwas, das mein ganzes Leben als Phase angesehen wurde, zu meinem Leben machen. Ich war unglaublich erleichtert.

Niemand, weder ihr Leser*innen, noch sonst wer, hat das Recht darüber zu bestimmen, ob das, was jemand anderes gerade durchmacht, tatsächlich nur eine Phase ist.

Keine*r wird sagen, es ist nur eine Phase, dass du jetzt hetero oder cis bist. Das ändert sich noch, pass nur auf, in der Pubertät wächst du da raus. 

Wenn ihr das so lest, kommt euch das lächerlich vor. Und genauso lächerlich ist es auch, wenn ihr anderen unterstellt, ihre sexuelle Orientierung oder ihre Geschlechtsidentität wären nur eine Phase, weil sie eben nicht cis und nicht hetero sind.

All die „Phasen“ die ich durchmachte, die sich dann schließlich nicht als Phasen herausstellten, waren schwer für mich.

Es verletzte mich und entmutigte mich, wenn andere meine Gefühle und Bedürfnisse als nicht legitim betrachteten und meinten, darüber entscheiden zu können, ob etwas eine Phase sei oder nicht.

An dem Punkt, an dem ich mich anderen anvertraute, war ich mir bereits zu hundert Prozent sicher, dass es sich um keine Phase handelte. Ich hatte so viel mit mir selbst debattiert, so viel hinterfragt und nachgedacht. Dass es nur eine Phase sein könnte, war für mich ausgeschlossen, als ich mich bei meinen Eltern outete und meinen Freund*innen mein Gefühlsleben offenbarte.

In unserer hetero- und cisnormativen Welt rückt man nicht sofort mit solchen Selbsterkenntnissen heraus, wenn man sich noch nicht sicher ist.

Man muss gegen sehr viel Widerstand ankämpfen und viel Gegenwind standhalten. Die Kraft dafür hat man nur, wenn man sich wirklich sicher ist. Wenn man sich outet, ist meistens bereits der Leidensdrucks so groß, dass man es ohne ein Outing nicht länger aushält.

Und so nimmt man all das in Kauf, auch die Tatsache, dass andere es als Phase abstempeln könnten.

Natürlich gibt es Kinder, die ihr Geschlecht hinterfragen und sich einige Zeit später vollkommen dem ihnen nach der Geburt zugewiesenen Geschlecht zugehörig fühlen. Es gibt Menschen, die sich für eine Transition entscheiden und diese einige Zeit später wieder rückgängig machen. Diese Leute gibt es auch, aber es sind  wenige. Nur werden sie gerne mal von der öffentlichen Aufmerksamkeit so sehr beachtet, dass es wirkt, als gäbe es sehr viele von ihnen.

Es gibt Menschen, die mit ihrer Sexualität experimentieren, um herauszufinden, dass es wirklich nur ein paar Monate waren, in denen sie sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlten. Na und? Wenn sie euch davon erzählen, ist es ein Vertrauensbeweis und kein Grund für euch zu beurteilen, ob das jetzt von Dauer sein wird oder nicht.

Ich wünschte, auf mein auf mein Outing als trans* hin hätte niemand gesagt, es wäre doch nur eine Phase

– Denn eine Phase dauert wohl kaum ein ganzes Leben. Ich wünschte, ich hätte mehr Sätze wie: „Okay, was können wir tun, um dich zu unterstützen?“ zu hören bekommen und und nicht „Warte doch mal ab, vielleicht verändert sich das ja noch!“.

Als ich meine erste Freundin hatte, hätte ich mir gewünscht, man hätte sich einfach nur für mich gefreut. Und sich nicht dafür interessiert, was die anderen denken würden oder wie lange ich denn nun auf Frauen stehen würde.

Sollte sich jemand jemals vor euch outen, sagt der Person nicht, es würde sich nur um eine Phase handeln. Dann fühlt sie sich weder ernstgenommen noch respektiert.

Falls – und wirklich nur falls – es eine Phase ist, wird es sich tatsächlich verwachsen und geht vorbei. Dann wird die Person es selbst feststellen und braucht euch nicht dazu, um das anzumerken.

Sagt doch einfach so etwas wie „Ich freue mich, dass du mir das erzählt hast!“ oder „Wie kann ich dich unterstützen?“, anstatt über die Leute zu urteilen.