Wenn zu Beginn und noch einige Jahre im Verlauf meiner Transition jemand zu mir gesagt hätte, mein „biologisches Geschlecht“ sei weiblich und würde in meinem Kern immer weiblich bleiben, lediglich meine Geschlechtsidentität sei männlich, hätte ich das wahrscheinlich unterschrieben. 

Das ist es, was man überall liest. So erzählen es einem Mediziner*innen und so steht es in wissenschaftlichen Artikeln und Behandlungsrichtlinien, in Zeitungen, in Blogposts,… Es hat viel Zeit, viele Gedanken und Auseinandersetzungen mit mir selbst und anderen gebraucht, um mich von diesen Biologismen und dieser unterschwelligen oder sogar auch offensichtlichen Transfeindlichkeit zu lösen. 

Die Identität steht im oben beschriebenen Fall über dem „biologischen“ Geschlecht und bestimmt somit das Geschlecht.

Wenn ich sage, ich bin männlich, reicht das aus, um männlich zu sein – auch wenn mein Körper „biologisch weiblich“ ist.

Warum wird meine Identität über die körperlichen Merkmale gestellt? Weil mein Gehirn mir sagt, ich bin männlich. Das ist mein Bewusstsein, was da spricht, und dem gilt es zu glauben (zumindest nach psychologischen Begutachtungen und bestätigenden Schreiben und Diagnosen). Demnach bestimmt eigentlich mein Gehirn mein Geschlecht. Gut. 

Warum aber muss der Biologismus bleiben?

Warum sagt man dann nicht einfach, dass das Gehirn das Geschlecht bestimmt, und nicht die Genitalien oder die Chromosomen oder die Hormonwerte?

Warum ist es so wichtig, den Gedanken des „biologischen Geschlechts“ zu behalten, um dann im letzten Moment doch noch sagen zu können: Ah ja, du bist zwar als „männlich“ anerkannt, weil deine Geschlechtsidentität männlich ist – dein Körper ist jedoch eigentlich „biologisch weiblich“. Nach diesem Biologismus würde ich für immer „biologisch weiblich“ sein. Auch, wenn ich Hormone nehme und meine Genitalien und mein Körperbau sich verändern und ich mich Operationen unterziehe.

Wenn jemand in einer cissexistischen Gesellschaft (in welcher wir leben, yay) in meine Hose schaut und weder aufgeklärt noch ein bisschen über seinen*ihren Tellerrand hinaus informiert ist, dann würde diese Person sagen: „Oh, dieser Mensch hier ist „biologisch weiblich“ und hat eine auffallend große Klitoris“. 

Wusstet ihr, dass bei der Bestimmung des Geschlechts eines Säuglings anhand der Genitalien die Übergänge zwischen Klitoris und (Mikro)Penis fließend sind? Anhand der Länge wird bestimmt, ob es sich nun um einen Jungen oder ein Mädchen handelt. 

Und bin ich dann „biologisch weiblich“ mit einer auffallend großen Klitoris, weil meine Chromosomen eventuell XX sind und mein Geschlecht dann nicht über meine Genitalien, sondern über meine Chromosomen bestimmt wird?  Wenn meine Klitoris schon bei meiner Geburt größer gewesen wäre, wäre ich dann als „biologisch männlich“ bestimmt worden? 

Mein Körper ist nicht „biologisch weiblich“. Meine Chromosomen sind nicht weiblich. Das sind einfach nur meine Chromosomen. Das sagt absolut nichts über mich aus und macht meinen Körper auch nicht weiblich.

Wenn ich sage, dass mein Körper männlich ist, dann ist er männlich. Dann gibt es kein „biologisch weiblich“ mehr, sondern eben nur männlich. Dann sind XX Chromosomen männlich, dann sind Genitalien männlich, unabhängig davon, ob es es sich bei ihnen nun um einen Penis oder eine Vulva/Vagina handlet. 

Den Fokus auf das Biologische unterstreicht die Unterscheidung in sex und gender. Denn sex ist das biologische Geschlecht, gender das soziale Geschlecht. In meinem Fall würden viele sagen, mein sex sei weiblich und mein gender eben (trans*) männlich. 

Ich lehne es jedoch ab, dass jemand mich, meinen Körper, meine Empfindungen und mein Geschlechtsbewusstsein auf etwas Biologisches herunterbricht, das schlichtweg falsch ist: auf die Annahme, dass ich „biologisch weiblich“ sein soll. „Gender is a social construct“ – ja, das soziale Geschlecht ist konstruiert, wenn damit Geschlechterrollen und das Ausleben von Geschlechtern gemeint ist. 

Niemand sagt jedoch, sex sei ein soziales Konstrukt.

Somit ist die Unterteilung in „männlich“ und „weiblich“ und „intergeschlechtlich“ eine unumstößliche Wahrheit. Aber die Tatsache, dass ich trans* bin, ist sozial konstruiert? 

Mir wurde nach der Geburt ein falsches Geschlecht zugewiesen – aber mein nach der Geburt bestimmtes Geschlecht ist nur falsch aufgrund gesellschaftlicher Einflüsse? Ich empfinde mein Geschlecht, wie es ist, weil mir auf diese und jene Art und Weise begegnet wurde und weil mir dieses und jenes anerzogen wurde? Weil ich auf diese und jene Art und Weise beeinflusst wurde? 

Nach dieser These würden Menschen ja nicht als trans* geboren werden, sondern trans* zu sein würde durch Umweltfaktoren entstehen.

Das hat man früher über beispielsweise Homosexualität auch behauptet, um Homofeindlichkeit zu rechtfertigen – denn schließlich sei ja in der Entwicklung etwas falschgelaufen, beziehungsweise in der Erziehung etwas falschgemacht worden. Dieser Ansatz kann eigentlich nur von cissexistisch eingestellten Personen kommen.

Wenn ich mit anderen Menschen über meine Ablehnung des oben beschriebenen Biologismus und die Unterscheidung zwischen sex und gender diskutiere, kommt häufig folgende Frage auf: Wenn du allein auf einer einsamen Insel wärst, wie würdest du dann dein Geschlecht empfinden? Wärst du dann auch trans*? 

Wenn ich die Frage anpasse und an mein (cis) Gegenüber richte, wird häufig mit den Schultern gezuckt oder gesagt, dass sich die jeweilige Person relativ sicher sei, sie wäre auf einer einsamen Insel auch cis. 

Aber ich muss eine Antwort auf diese Frage wissen? Die Tatsache, dass sich mein Gegenüber als männlich oder weiblich weiß, ist fundamental verankert, aber die Tatsache, dass ich trans* bin, würde auf einer einsamen Insel nicht existieren? Woher kommt diese Annahme? 

Warum wird davon ausgegangen, dass ich, wenn ich alleine auf der Welt wäre oder auf einer Insel mitten im Nirgendwo nicht trans* wäre?

Bin ich nur trans*, weil mir die Gesellschaft etwas vorgelebt hat, ich mich mit anderen verglichen habe, ich gesehen habe, wie andere sind, und ich deswegen mit meinem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht „zufrieden“ war? 

Ich bin mir sehr, sehr sicher, dass Geschlechterrollen auf dieser einsamen Insel überhaupt nicht existieren würden. Aber dass ich mich meistens männlich fühle, das wäre anders und ich würde mich weiblich fühlen? Oder würde auch dieser Aspekt von Geschlecht gar keine Rolle spielen? 

Wenn ich alleine auf der Welt wäre, würde es niemanden geben, der mich als „männlich“ oder „weiblich“ oder „intergeschlechtlich“ klassifizieren würde. Hätte ich trotzdem Dysphorie (gehabt)? Hätte ich trotzdem das grundlegende, tiefgreifende Gefühl verspürt, dass mein Körper in sehr, sehr, sehr starkem Widerspruch zu dem steht, wie ich mein Geschlecht einordne und wie ich mein Geschlechtsbewusstsein erlebe? Hätte ich überhaupt ein Bewusstsein für (mein) Geschlecht? Vielleicht nicht. Aber genauso wenig hätte es vermutlich eine cis Person in dieser Situation. 

Wir können gerne über die Tatsache diskutieren, ob jedes Geschlechtsbewusstsein und ALLE Geschlechter sozial konstruiert sind. Aber ich diskutiere nicht alleinstehend über die Tatsache, ob trans* zu sein ein soziales Konstrukt ist.

Die Frage ist, welche Konsequenzen hat es, männlich oder weiblich zu sein? Oder nicht-binär oder intergeschlechtlich? Welche Konsequenzen hat das Geschlecht? In unserer Welt, viele. Das hängt mit Geschlechterrollen und -erwartungen zusammen. 

Aber das sind Konsequenzen, die nicht durch das Geschlechtsbewusstsein der Menschen an sich entstehen, sondern durch gesellschaftliche Konstrukte. Jede Person sollte ihr Geschlecht genauso ausleben können, wie sie das wünscht. Alle sollten frei sein können von diesen Geschlechterrollen und -erwartungen. Aber das sind wir nicht. Geschlecht ist überall präsent. 

Und mein Geschlecht ist genauso viel und genauso wenig konstruiert wie das einer cis Person.