„Bei Formularen reicht die männliche Anrede“. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. März 2018 zur Klage einer 80-jährigen Frau namens Marlies Krämer, die statt als allgemein gemeinter „Kunde“ als „Kundin“ angesprochen werden wollte. Zuvor hatte das saarländische Landesgerichts die Klage mit der Begründung zurückgewiesen, dass die männliche Form bereits seit zwei Jahrtausenden im Sprachgebrauch für die Ansprache von sowohl Männern, als auch Frauen verwendet werde. Frauen seien „mitgemeint“. Es würde Texte nur noch komplizierter machen, wenn man Frauen direkt ansprechen würde. Wenn man etwas schon seit 2000 Jahren macht, warum sollte man das ändern?
Warum? Weil die Zeit nicht stillsteht. Das generische Maskulinum, bei dessen Verwendung sich auch Frauen eingeschlossen fühlen sollen, scheint in einem Zeitalter, in dem Frauen sich trauen, ihre Stimmen zu erheben, nicht angebracht. Und schon gar nicht zu einer Zeit, zu der man endlich zu erkennen beginnt, dass sexistische und diskriminierende Verhaltensweisen gegenüber Frauen aufhören müssen. Ständig wird von Gleichberechtigung und Gleichstellung gesprochen, aber in diesem Fall kann nicht von Gleichstellung ausgegangen werden, wenn man Frauen, die als Frauen angesprochen werden wollen, als männlich anspricht – wegen einer Jahrtausende alten sprachlichen Regelung.
In so vielen Lebensbereichen ist es möglich, Trennungen zwischen Geschlechtern zu vorzunehmen und auf die Unterschiede zwischen ihnen aufmerksam zu machen. Zum Beispiel bei Toiletten. Warum kann man dann nicht auch in der Sprache differenzieren? Oder eine Ausdrucksweise finden, mit der sich sowohl Männer, als auch Frauen angesprochen fühlen?
Das Hauptproblem des generischen Maskulinum ist, dass es eben ein Maskulinum ist. Genauso wie das generische Maskulinum könnte das generische Femininum verwendet werden. So könnte statt von allgemeinumfassenden „Kunden“ auch von „Kundinnen“ gesprochen werden. Dass die Gesellschaft Jahrtausende von Männern regiert und geprägt wurde, ist vermutlich der einzige Grund, aus dem es das generische Maskulinum gibt. Und so hält man noch heute daran fest, indem man argumentiert, dass es sich dabei sprachlich um eine neutrale Form handele.
Wieso muss eine neutrale Form aber männlich sein? Vor allem dann, wenn es die Möglichkeit gibt, zwischen „Kunden“ und „Kundinnen“ zu differenzieren? Dass es sich bei dem Menschen, der Person oder den Leuten um neutrale Formen handelt, bestreitet niemand. Denn hier kann nicht zwischen „dem Menschen“ und „der Menschin“, „der Person“ und „der Personin“ oder „den Leuten“ und „den Leutinnen“ unterschieden werden.
Wenn es aber ein Wort gibt, bei dem man die Möglichkeit hat, zu differenzieren, könnte man sie auch ergreifen. Und wenn das Gericht meint, es würde Formulare und Texte nur schwerer verständlich machen, wenn man nicht mehr auf das generische Maskulinum zurückgreifen würde, sollte man vielleicht die komplette Formulierung dieser Text überdenken.
Die Sprache sollte mit der Zeit gehen. Sie ist das Medium, mit dem wir kommunizieren und uns ausdrücken können. Und welches Licht wirft es auf die deutsche Sprache, wenn wir uns so „allgemein“ ausdrücken, dass Frauen nicht explizit angesprochen werden?
Sprache ist dynamisch und ein prägender Teil unserer Kultur und unseres Miteinanders. Wir sagen heute ganz leger „E-Mail“ statt „elektronische Mitteilung“, benutzen Worte wie „attitude“, „Blog“ oder „chillen“ in unserem Alltag, als wären sie ein fester Bestandteil der deutschen Sprache. Wenn Sprache nichts Dynamisches wäre, wie sonst ließe sich erklären, dass so viele Anglizismen Einzug in den deutschen Sprachgebrauch erhalten haben?
Fakt ist: Eine Abweichung vom generischen Maskulinum würde Arbeit bedeuten. Nicht nur Formulare und Gesetzestexte müssten umformuliert werden.
Es wäre allerdings bei Weitem nicht die erste Änderung der deutschen Sprache. Ein Beispiel dafür wären die Rechtschreibreformen, als jüngstes diejenige von 1996 mit Änderungen 2004, 2006 und 2011. Plötzlich war das, was mal als richtig galt, falsch und das ß fiel fast vollständig aus dem Sprachgebrauch heraus. Obwohl man es schon lange verwendet hatte! Änderungen sind unbequem, in dem Fall mussten sich viele Menschen von alten Gewohnheiten lösen und an die Veränderung anpassen, um sich korrekt ausdrücken zu können.
Doch ohne die ein oder andere Unbequemlichkeit gibt es auch keinen Fortschritt.
Über das generische Maskulinum und sein weiteres Bestehen in der deutschen Sprache lässt sich streiten. Eindeutig ist jedoch, dass sich die Kultur mit der Zeit verändert – und mit ihr auch die Sprache.