Mit Anfang 20 und meiner aktuellen Lebensplanung bin ich noch weit davon entfernt, Kinder zu haben. Aber ich habe vor, sie unabhängig von spezifischen Geschlechtsvorstellungen aufwachsen zu lassen.

Meiner Meinung nach sollte man Kindern nicht von klein auf eintrichtern, was als „typisch Junge“ und „typisch Mädchen“ zu verstehen sei. Alles, was als „typisch“ betrachtet wird, ist es eben nur, weil es vom Großteil der Gesellschaft so gesehen wird. So sind Spielzeugbagger oder -autos einfach nur Spielzeug – das sich keinesfalls nur dann verwenden lässt, wenn man sich mit dem männliche Geschlecht identifiziert. Gleiches gilt für Puppen oder Prinzessinnenschlösser, die vor allem in der Werbung klar den Mädchen zugeordnet werden.

Ich finde auch die Vorstellung absurd, Kinderzimmer von vorne herein komplett in den Farben einzurichten, die zu dem jeweiligen Geschlecht „passen“. Ist es wirklich notwendig, kleinen Mädchen komplette pinke Zimmer einzurichten, bevor diese überhaupt äußern können, welche Farbe ihnen gefällt?

Anstatt davon auszugehen, dass Pink den Mädchen und Blau den Jungen auf jeden Fall gefällt, könnte man sich auch einfach von der Vorstellung lösen, unterschiedliche Farben stünden für  verschiedene Geschlechter. Diese Farbsegregation wird so verinnerlicht, dass sie auch im Erwachsenenalter vorhanden ist.

Neulich habe ich im Beisein einer Freundin im Internet T-Shirts angesehen, von denen mir ein rosanes besonders gut gefiel. Die Freundin meinte jedoch „Das kannst du doch als Mann nicht tragen!“ Ha, denkst du. Natürlich habe ich es gekauft.

Die Problematik reicht allerdings über Spielzeug und Farben von Zimmerwänden und T-Shirts hinaus. Meistens geht die Toleranz noch so weit, dass man Jungen „mal“ mit Puppen spielen lässt oder Mädchen mit Autos.

Doch was tun, wenn der Sohn sich plötzlich die Fingernägel lackieren möchte? Wenn man ein bisschen im Internet recherchiert, wird man davon überrascht, in welch helle Aufregung es Eltern zu versetzen scheint, wenn ihr Sohn diesen Wunsch äußert. Es reicht von Posts in Frageforen, die mit „Hilfe!“ beginnen, bis hin zu Meinungsumfragen wie „Was meint ihr dazu?“.

Jungs mit glitzerndem, im schlimmsten Fall auch noch pinken Nagellack. Für viele Eltern scheint dies eine angsterregende Vorstellung zu sein. Sie werten es als einen Indiz dafür, dass ihr Sohn entweder schwul sein könnte oder gar trans*.

Um diese sich aufzeigenden Eigenschaften nicht zu fördern, wird das Verwenden von Nagellack rasch verboten. Dabei hat die Neugierde von Jungen gegenüber pinken, glitzernden „Frauenprodukten“ nicht zwangsläufig etwas mit versteckter Homosexualität zu tun oder gar damit, dass sie trans* sein könnten. Und selbst wenn, dann würde das Verbieten dieser Präferenz eine solche Orientierung nicht unterbinden.

Der kleine Bruder meiner Freundin mag Sachen, die glitzern. Er würde sich auch gerne die Nägel in leuchtendem Pink lackieren. Aber wie vermutlich viele andere Jungen mit wenig liberalen Eltern darf er das nicht. Seinem Vater geht das zu weit. Scheinbar sieht er dadurch die „Männlichkeit“ seines Sohnes angegriffen.

Wie viel Männlichkeit kann ein 9-Jähriger denn überhaupt schon besitzen? Wie viel Männlichkeit muss ein 9-Jähriger besitzen? Ich vermute stark: Gar keine. Außerdem steht der Nagellack in keinem Widerspruch zur Männlichkeit. Der Widerspruch ist im Kopf des Vaters.

Für den Bruder meiner Freundin ist Nagellack einfach schön. Dass er nur für Frauen ist und damit Weiblichkeit suggeriert, findet er nicht. Diese Gedanken haben lediglich seine Eltern, die den Jungen somit schon in vorgefertigten Rollen und Erwartungen sozialisieren, ohne ihr Kind da mitreden zu lassen – auch aus Angst, was die anderen sagen würden.

Er wächst in einer ländlichen Kleinstadt auf, umringt von Kirchen und einem recht hohen Altersdurchschnitt der Einwohner. Die Menschen in seinem Umfeld würden sich vermutlich dazu äußern, wenn er plötzlich lackierte Fingernägel hätte. Diese Äußerungen wären nicht unbedingt positiv.

Wahrscheinlich wären es jedoch nicht die anderen Kinder, die den Jungen negativ darauf ansprechen würden, wenn er den Nagellack mit Selbstbewusstsein und Selbstverständlichkeit trägt. Sondern eher die Eltern, die etwas zur Abnormität zu sagen hätten, und die Erziehungsmethoden seiner Eltern hinterfragen würden.

Mir stellt sich die Frage, wieso die Meinung anderer den Wünschen des eigenen Kindes übergeordnet werden sollten. Jungs mit lackierten Fingernägeln sollte es nicht nur im Internet in YouTube Videos oder in Hollywood geben, wo sie die Kinder von bekannten Stars sind. Sie sollten auch im normalen Alltag präsent sein dürfen, wenn sie das wollen – angefangen mit dem kleinen Bruder meiner Freundin. Er wünscht sich sein Leben einfach ein bisschen bunter und glitzernder, um dann mit lackierten Fingernägeln weiter mit seinem Technik-Baukasten zu spielen und Schaltkreise zu bauen – genauso, wie es von einem Jungen erwartet wird. Nur eben in pink.