Was genau ist das Coming-Out?

Der Begriff „Coming-Out“ kommt aus dem Englischen und bezieht sich auf „Coming out of the closet“, also den Schrank verlassen, um seine Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung der Welt mitzuteilen. In unserer Gesellschaft gehen die meisten davon aus, dass man hetero und cisgender ist. Deshalb ist es für jeden, der sich abseits dieser Norm bewegt, fast unumgänglich, sich zu outen. Man kann sich als alles mögliche outen – als homosexuell, als bi- oder pansexuell, asexuell, transident, genderqueer,… Im Folgenden werde ich auf mein Coming-Out als transident eingehen.

Das Coming-Out ist der Schritt, der alles ins Rollen bringt. Damit meine ich nicht nur das Coming-Out gegenüber dem Umfeld, sondern vor allem das Coming-Out vor sich selbst. Sich selbst einzugestehen, dass man anders ist, dass man transident ist. Ein langer Weg, der sich bei vielen über Jahre oder Jahrzehnte ausdehnt.

Danach folgt häufig das Coming-Out gegenüber dem Umfeld. Oft erst dann, wenn der Leidensdruck so groß ist, dass man sein „Geheimnis“ einfach nicht mehr länger mit sich herumtragen kann. Wenn es schlicht und ergreifend notwendig ist, um das eigene Leben weiterzuführen.

Wann wusste ich es? 

Ich hatte mich mein ganzes Leben lang das Gefühl, anders zu sein. Ich kannte nur kein Wort dafür. Bis sich durch ein zufällig entdecktes YouTube-Video vor meinem inneren Auge mein Leben wie ein Puzzle zusammenfügte.

In dem Video sprach ein Junge über seine Transition und erzählte, dass er sich schon immer als Junge gefühlt hatte, obwohl ihm nach der Geburt das Geschlecht „weiblich“ zugeordnet wurde. Ich war erleichtert, denn ich fühlte mich genauso wie dieser Junge. Alles ergab plötzlich so sehr einen Sinn, dass ich gar nicht fassen konnte, das Gesamtbild bisher nicht gesehen zu haben. 

Rückblickend gab es viele verschiedene Indikatoren in meiner Kindheit und meiner Teenagerzeit, die darauf hinwiesen. Sobald ich dazu in der Lage war, wehrte ich mich dagegen, dass meine Mutter mir Kleidchen anziehen wollte und setze sehr schnell durch, dass ich mir meine Klamotten selbst aussuchen durfte – meist wollte ich nur die abgetragenen von meinen älteren Brüdern anziehen.

Gegenüber meiner Cousine äußerte ich mit vier Jahren erstmals, dass ich lieber ein Junge wäre und nicht verstand, warum mich alle wie ein Mädchen behandeln würden. Ich wollte immer meine Haare kurz tragen, und selbst als ich älter wurde kam ich nicht davon ab, mich wie ein Junge zu verhalten – denn ich war einer.

Wie habe ich mich geoutet? 

Als Erstes erzählte ich meinem besten Freund und meinem Bruder davon, dann einer engen Freundin. Sie reagierten alle drei positiv und versprachen, mir den Rücken zu stärken. Das tat mir gut, aber nahm mir nicht die Angst vor der größten Hürde: Dem Coming-Out vor meinen Eltern.

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon viele schlimme Geschichten darüber gehört, wie negativ andere Eltern auf das Coming-Out ihres Kindes reagiert hatten. Ich traute meinen Eltern das eigentlich nicht zu und war der Meinung, dass sie mich unabhängig von meinem Geschlecht lieben würden, aber ganz sicher war ich mir nicht. Ich war verunsichert und ängstlich und diese Angst konnte mir keiner nehmen.

Es dauerte Jahre, bis ich mich traute, mich meinen Eltern gegenüber zu outen. Ich schrieb Briefe, in denen ich ihnen alles erklärte und zerriss sie wieder, weil ich sie zu unpersönlich und auch zu dramatisch fand. Ich wollte meinen Eltern   die Möglichkeit geben, mir direkt Fragen zu stellen und sie nicht einfach mit einem Brief alleine lassen. Doch den Mut, das direkte Gespräch zu suchen, musste ich lange sammeln.

Schließlich war ich 16 und hielt es nicht mehr aus, dieses Geheimnis mit mir herumzutragen. Ich wollte, dass sich endlich etwas ändert und damit sich etwas ändern konnte, mussten meine Eltern Bescheid wissen. Ich war mit meiner Mutter im Urlaub, als es beim Abendessen aus mir herausplatzte.

Ich erzählte ihr, dass ich trans* sei, dass ich eine Transition machen wolle, dass ich einen neuen Namen brauchte. Eine negative Reaktion blieb aus. Meine Mutter erzählte meinem Vater und meinem anderen Bruder davon, weil ich mich selbst nicht traute und bald wusste meine ganze Familie Bescheid.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch weniger als ein Jahr Schulzeit vor mir und nach langem Überlegen entschied ich mich dazu, mich vor dem Abi nicht mehr in der Schule zu outen, um mir das letzte Schuljahr nicht noch unnötig zu erschweren. Stellte sich heraus, dass es nach meinem Coming-Out vor meinen Eltern viel schwerer war, täglich an einen Ort zu gehen, an dem ich mit den falschen Pronomen und dem falschen Namen angesprochen wurde.

Als ich mich endlich durch die letzten Monate Schulzeit gequält hatte, änderte ich auf Facebook meinen Namen und so outete ich mich vor allen Freund*innen und Bekannten, ohne das direkte Gespräch mit ihnen suchen zu müssen.

Wie haben meine Eltern reagiert?

Durchwachsen. Ich hatte mich zu dem Zeitpunkt meines Coming-Outs bereits jahrelang mit dem Thema beschäftigt, für meine Eltern war das alles neu. 

Direkt nachdem ich mich geoutet hatte, passierte erst mal nichts. Ich hätte gedacht, dass mein Coming-Out direkt den symbolischen Stein ins Rollen bringen würde, doch nichts rollte. Ich hatte das geteilt, was ich seit Jahren wie eine schwere Last mit mir herumschleppte und ich glaube meine Eltern wussten nicht, was sie machen sollten.

Es dauerte ein halbes Jahr, bis ich den Mut hatte, das Thema erneut anzusprechen und darauf aufmerksam zu machen, dass ich gerne Schritte einleiten würde, um meine Transition zu beginnen. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch keine 18 und meine Eltern hatten mir deutlich gemacht, dass ich warten musste, bis ich volljährig war. 

Mehr als ein Jahr nach meinem Coming-Out sprachen meine Eltern mich dann endlich mit meinem neuen Namen und männlichen Pronomen an, auch wenn es ihnen anfangs sehr schwer fiel – was ich ihnen zu der Zeit übel nahm. Ich dachte, sie würden mit Absicht Fehler machen, um mich zu verletzen. Ich hatte wenig Verständnis dafür, dass sie Zeit brauchten, um sich mit dem Gedanken anzufreunden und dass es Monate dauerte, bis sie ihnen nicht mehr der falsche Name oder die falschen Pronomen herausrutschten.

Rückblickend kann ich verstehen, dass sie ihre Schwierigkeiten hatten, damit umzugehen – schließlich brachte es einen Teil ihrer Welt aus dem Gleichgewicht.

Wie ihr seht, gab es hier nicht die eine Reaktion auf mein Coming-Out. Es war ein Prozess, der sich über mehrere Jahre zog. Trotz aller Schwierigkeiten und allem anfänglichen Unverständnis haben meine Eltern mir immer das Gefühl geben, dass sie mich lieben – egal, was auch passieren würde. 

Wie outet man sich am besten?

Da gibt es leider keinen Masterplan und keine Anleitung, die immer perfekt funktioniert. Ich habe, wie bereits erwähnt, lange erwogen, meinen Eltern einen Brief zu schreiben – habe es dann allerdings doch persönlich gemacht. Bei meinem Bruder habe ich mich per WhatsApp-Nachricht geoutet. Ich weiß auch von anderen, die E-Mails oder SMS geschrieben haben, oder sich über das Telefon geoutet haben. 

Es gibt nicht den perfekten Zeitpunkt für das Coming-Out. Wenn man auf den wartet, dann outet man sich wahrscheinlich nie. Es gibt immer einen Grund, warum man es gerade nicht tun sollte. Zum Beispiel, dass die andere Person gerade im Stress ist, müde ist, genug um die Ohren hat. Dass man selbst heute keinen guten Tag hat, dass es morgen wahrscheinlich besser wäre. Im Endeffekt hilft nur eins: Augen zu und durch. 

Obwohl es keinen optimalen Zeitpunkt gibt, ist es dennoch wichtig, dass man sich nur outet, wenn man sich einigermaßen sicher fühlt. Wenn man Angst hat, dass die Eltern oder sonst jemand wichtiges (sehr) negativ reagieren werden, mit psychischer oder physischer Gewalt, kann es meiner Meinung nach sinnvoll sein, das Gespräch nicht alleine zu suchen, sondern jemanden an seiner Seite zu haben.

Das kann eine andere verwandte Person sein, bei der man bereits geoutet ist und die einen unterstützt, ein guter Freund oder eine gute Freundin. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es dem Gegenüber helfen kann, wenn es sieht, dass andere Leute kein Problem mit der Transidentität haben und dass es ihm dann leichter fällt, positiv oder zumindest neutral zu reagieren. Nach dem Motto „Wenn andere das akzeptieren, kann/muss ich es wohl auch“. 

Und ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass das Coming-Out nie so schlimm abgelaufen ist, wie ich es mir ausgemalt habe. Fast alle haben mich mit einer Reaktion überrascht, die um einiges positiver war als die, die ich mir ausgemalt hatte. Das ist allerdings nur meine eigene Erfahrung und ich weiß, ich habe viel Glück gehabt. 

Hört das jemals auf mit dem Coming-Out? 

Nein. Es hört nie auf. Aber es wird leichter. Es werden immer wieder Situationen kommen, die ein Coming-Out notwendig machen, auch wenn man schon lange Hormone nimmt und seinen Namen geändert hat.

Wenn man sich bei seiner Familie und bei seinen Freund*innen geoutet hat, wenn man seine Transition bereits angefangen hat, dann ist man jedoch an einem ganz anderen Punkt als am Anfang. Im besten Fall hat man gute Erfahrungen gemacht und kann mit mehr Selbstbewusstsein an das Coming-Out rangehen und wird durch negative Reaktionen nicht mehr so sehr erschüttert.

Man kann sich dazu entscheiden, stealth zu leben. Das heißt, man erzählt niemandem mehr, dass man transident ist. Trotzdem wird es Situationen geben, in denen man anderen davon erzählen muss – sei es bei Ärzt*innen oder wenn man sich in jemanden verliebt.

Selbst, wenn man nicht stealth lebt, sondern offen mit seiner Transidentität umgeht, wird man sich bei Leuten, die man neu kennenlernt, wieder outen müssen. Nur hängt von diesen Coming-Outs dann zumindest, wie ich es erlebt habe, viel weniger ab, als von dem ersten Coming-Out zu Beginn der Transition.

Demnach: Kopf hoch, es hört zwar nicht auf, aber man wird besser darin und die Worte gehen einem irgendwann leichter über die Lippen, wenn man sie schon oft gesagt hat! 

Was ich durch mein Coming-Out (unter anderem) gelernt habe: 

  1. Wenn man angekündigt hat, dass man der anderen Person etwas sagen muss, dann am Besten schnell raus mit der Sprache. Es wird nicht besser davon, dass man lange herumdruckst. 
  2. Nur dann outen, wenn man sich in der Situation/in dem Umfeld sicher fühlt oder zumindest einen sicheren Rückzugsort hat, falls die Reaktion negativ ausfällt.
  3. Egal, wie das Gegenüber reagiert – mit dir selbst ist alles in Ordnung. Trans* sein ist in Ordnung. Wenn die Person, der du dich outest, negativ reagiert, ist sie nicht in Ordnung. 
  4. Manche Menschen überraschen einen mit ihrer Toleranz und Offenheit.
  5. Es kann dauern, bis andere sich an den Gedanken gewöhnt haben. Auch wenn du ungeduldig bist, es braucht Zeit. Das Coming-Out kann ein langer Prozess sein.
  6. Es ist nicht vorbei, bloß weil du dich einmal geoutet hast. Höchstwahrscheinlich wirst du dich immer wieder outen müssen.
  7. Du bist nicht alleine, nie. Es gibt immer irgendjemanden, der auf deiner Seite ist.
  8. Es wird besser. Ich weiß, das sagen viele. Aber es sagen viele, weil es eben stimmt.