Warum überhaupt eine Begleittherapie?

Es gibt in Deutschland keine verbindlichen Richtlinien, wie Trans* behandelt werden soll. Deshalb wurden 1997 die Standards zur Begutachtung und Behandlung von Transsexuellen veröffentlich. Diese sind eigentlich als flexible Richtlinien gedacht, an denen sich Ärzt*innen und Krankenkassen orientieren können. Bis heute werden sie jedoch von vielen als Vorschriften verstanden.

Diese Standards besagen, dass ein längerer Therapieprozess notwendig ist, um zu beurteilen, ob eine Person tatsächlich trans* ist – oder nicht.Sie erwähnen zum Beispiel, dass der*die Therapeut*in den*die Klient*in mindestens ein Jahr kennen muss, um ihm*ihr Hormone zu verschreiben oder dass der*die Klient*in einen mindestens einjährigen Alltagstest machen muss (siehe nächste Frage), um Hormone verschrieben zu bekommen. Da diese Standards weiterverbreitet sind, ist eine Begleittherapie in den meisten Fällen die Voraussetzung für eine Hormontherapie, Operationen und Kostenübernahmen der Krankenkassen. 

Es gibt inzwischen auch Fälle, in denen ohne Begleittherapie eine Hormontherapie indiziert werden konnte, doch bleibt das bis heute die Ausnahme.

Was ist der Alltagstest? 

Der Alltagstest bedeutet, dass man begleitet von einem*einer Therapeut*in mindestens ein Jahr entsprechend seiner Geschlechtsidentität leben muss, um sich „sicher“ zu werden. Es ist also wie eine einjährige Prüfung, die ein*e Therapeut*in begleitet, um die Ernsthaftigkeit des Wunsches einer Geschlechtsangleichung zu beurteilen. Laut den bereits genannten Standards ist das notwendig, denn eine Transition ist ein zum Teil umumkehrbarer Prozess und eine Indikation für die Hormontherapie sollte nicht vorschnell gestellt werden.

Dieser Alltagstest kann jedoch erhebliche Probleme mit sich bringen. Viele trans* Menschen sind vor Beginn der Hormontherapie ständigen Problemen im Alltag ausgesetzt, denn es besteht eine Diskrepanz zwischen ihrem Aussehen und ihrer Identität. Ihr Umfeld nimmt sie so möglicherweise noch nicht entsprechend ihrer Geschlechtsidentität wahr. Dies kann eine enorme psychische Belastung sein, vor allem wenn ein solcher Alltagstest ein ganzes Jahr oder sogar länger durchgestanden werden soll.

Welche Ziele hat die Begleittherapie?

In erster Linie hat sie zum Ziel, was der Name bereits impliziert: Den*die Klient*in während seiner*ihrer Transition zu begleiten. Hierfür muss der*die Therapeut*in zu allererst herausfinden, ob tatsächlich die Person trans* ist oder ob die Probleme der Person möglicherweise einen anderen oder zusätzlichen Ursprung haben.

Die konkrete Zielsetzung kann sich von Mensch zu Mensch unterscheiden und hängt auch davon ab, wie weit die Person bereits in ihrer sozialen Transition fortgeschritten ist, wenn sie sich therapeutische Unterstützung sucht. 

Der*die eine Klient*in möchte sich erst mal sicher werden, ob er*sie wirklich trans* ist, ein*e andere*r möchte lernen, besser mit Reaktionen auf sein Coming-Out umzugehen. Manche möchten Ängste oder Konflikte aus der Vergangenheit aufarbeiten, andere möchten sich mental auf körperlich anstrengende Operationen vorberieten oder absolvieren gerade den Alltagstest. 

Für viele ist ein Ziel der Therapie, eine Indikation für die Hormontherapie ausgestellt zu bekommen, die normalerweise von einem*einer Psychotherapeut*in ausgestellt wird. Damit kann bei einem*einer Endokrinolog*in, einem*einer auf Hormone spezialisierten Ärzt*in, mit der Hormontherapie begonnen werden – soweit die körperlichen Voraussetzungen das erlauben.

Diese Indikation wird (im Regelfall) nicht nach einer einzelnen Therapiesitzung ausgestellt, sondern erst dann, wenn die Therapie bereits einige Zeit andauert – einerseits, weil der*die Therapeut*in in einer Sitzung den*die Klient*in nicht ausreichend kennenlernen kann und andererseits auch, weil die Standards zur Begutachtung und Behandlung von Transsexuellen einen längeren Behandlungszeitraum vorsehen. 

Welche Diagnose stellt ein*e Therapeut*in bei einer Begleittherapie? 

Genauso wie bei cis Menschen gibt es bei trans* Menschen eine ganze Bandbreite an psychischer Gesundheit und Krankheit. Somit hat Trans* zu sein nichts mit psychischer Krankheit zu tun, es gibt jedoch auch trans* Menschen, die psychisch krank sind. Es kann nur Trans* vorliegen und/oder eine psychische Erkrankung. 

Liegt nur Trans* vor, wird der*die Therapeut*in die Diagnose der „Geschlechts-Dsyphorie“ stellen welche die veraltete Diagnose der „Geschlechtsidentitätsstörung“ ersetzt. Nach der momentan noch geltenden internationalen Klassifizierung der Krankheiten fällt Trans* unter die Persönlichkeitsstörungen. Mit dem ICD-11, der 2022 in die Praxis umgesetzt werden soll, wird Trans* nicht mehr als Persönlichkeitsstörung klassifiziert, sondern im Bereich „Sexuelle Gesundheit“ unter „Gender Incongruence“ (also fehlende Übereinstimmung des Geschlechts) aufgeführt werden. Welche Folgen das für den medizinischen Umgang haben wird, ist bisher noch unklar. 

Wie finde ich eine*n Therapeut*in?

Wichtig ist es, eine*n Therapeut*in zu finden, der*die einem sympathisch ist. Stimmt die „Chemie“ nicht, kann die Begleittherapie schnell zu einer Last und nicht zur Erleichterung werden. Es gibt in Deutschland eine ganze Reihe trans* erfahrener Therapeut*innen (Listen dazu findet ihr über Google). Diese Therapeut*innen arbeiten hauptsächlich oder ausschließlich mit trans* Menschen zusammen und begleiteten sie auf dem Weg vom inneren Coming-Out über den Hormonbeginn bis hin zu Operationen. Da sie schon viele trans* Personen begleitet haben, verfügen sie über einen großen Wissens- und Erfahrungsschatz, von dem man als Klient*in profitieren kann. 

Eine andere Möglichkeit ist es, eine*n nicht trans*erfahrenen Therapeut*in auszuwählen. Diesen Weg bin ich gegangen, weil mir die Wartelisten für eine*n trans* erfahrene*n Therapeut*in zu lang waren und ich mir nicht vorstellen konnte, noch drei oder gar sechs Monate zu warten, bis ich das erste Mal einer*einem Therapeut*in gegenübersitzen würde. Das kann Vor- und Nachteile haben. Ein eindeutiger Vorteil ist, dass ich bereits in der darauffolgenden Woche einen Termin bei meiner Therapeutin hatte. Ein Nachteil war, dass sie sich mit dem Thema nicht auskannte und sich erst Wissen aneignen musste und ich ihr vieles erklären musste. 

Auch rückblickend bereue ich meinen Weg über eine nicht trans*erfahrene Therapeutin nicht. Als ich erstmals in therapeutischer Behandlung war, hatte ich mich bereits jahrelang mit dem Thema Trans* beschäftigt, keine Zweifel und meine soziale Transition weitgehend abgeschlossen. 

Wenn man ganz am Anfang steht, sich möglicherweise noch nicht einmal sicher ist, ob man wirklich transident ist, kann es möglicherweise hilfreicher sein, zu einer*einem erfahrenen Therapeut*in zu gehen, da diese*r mehr aus ihrer*seiner Erfahrung mit anderen Kliente*innen schöpfen kann, um einem weiterzuhelfen. 

Im Endeffekt gilt: Einfach mal googlen, anrufen und nachfragen, ob es noch freie Therapieplätze gibt (ob nun bei  trans* erfahrenen oder nicht-trans* erfahrenen Therapeut*innen) und sich gegebenenfalls auf Wartelisten setzen lassen. 

Wie lange dauert die Therapie?

Die Dauer der Therapie ist von Person zu Person unterschiedlich und umfasst in den meisten Fällen mehr als ein Jahr fortlaufende Therapiesitzungen.

Viele Therapeut*innen halten sich strickt an die bereits erwähnten Standards zur Begutachtung und Behandlung von Transsexuellen die empfehlen, dass der*die Therapeut*in den*die Klient*innen mindestes ein Jahr kennen sollte, bis er*sie Hormone indizieren sollte und dass er*sie den*die Klient*in bei einem einjährigen Alltagstest begleiten soll. 

Meist wird die Therapie mindestens über 18 Monate hinweg absolviert, da dies vor allem bei den gesetzlichen Krankenkassen eine gängige Voraussetzung für die Beantragung von geschlechtsangleichenden Operationen ist.

Du kennst jemanden, der eine Begleittherapie macht und möchtest ihn gerne unterstützen. Wie kannst du dich verhalten?

Mich hat während meiner Begleittherapie wenig so sehr genervt wie die Frage „Bringt die Therapie schon etwas?“. Was soll die Therapie schon „bringen“? Man ist nicht krank, wenn man als trans* Mensch zu einer*einem Therapeut*in geht, somit ist also nicht zwangsläufig eine Besserung der Ausgangssituation notwendig. Klar lernt man durch die Therapie, besser mit der Transition umzugehen und damit, dass man trans* ist – doch gerade diese Frage hat dazu geführt, dass ich mich fragte, ob etwas mit mir nicht stimmte und was die Therapie daran ändern sollte. Also wenn es geht, diese Frage vermeiden.

Es ist immer schön, jemanden zu haben, der ein offenes Ohr für einen hat und dem man von seinen Therapiesitzungen erzählen kann – der*die allerdings nicht aufdringlich nachfragt. Denn mir ging es häufig so, dass in der Therapie Themen besprochen wurden, die ich lieber für mich behalten wollte.

Am Besten, du fragst die Person selbst, wie du sie unterstützen kannst und sagst ihr, dass sie immer zu dir kommen kann, wenn sie über etwas reden möchte.   

Was ich durch die Begleittherapie gelernt habe:

  1. Immer offen und ehrlich zu sein. Die Therapie bietet unabhängig von der Trans*-Thematik die Chance, sich besser kennenzulernen und weiterzuentwickeln. Diese Chance kann man am besten nutzen, wenn man ehrlich zu sich selbst ist und sich auch mal Schwäche eingesteht. 
  2. Probleme lösen sich meist nicht von selbst. Wenn man schon eine Therapie machen muss, kann man sie auch ansprechen.
  3. Mich nicht dafür zu schämen, dass ich in Therapie bin. Es würde meiner Meinung nach niemandem schaden, mal das Gespräch mit einem*einer Therapeut*in zu suchen. 
  4. Es tut gut, mit einer völlig unbeteiligten Person über seine Transition zu sprechen. 
  5. Mich von Fragen wie „Bringt die Therapie schon was?“ nicht verunsichern zu lassen.
  6. Man muss nicht auf alle Fragen antworten, die einem ein*e Therapeut*in stellt.
  7. Es ist hilfreich, auch nach Hormonbeginn noch in Therapie zu bleiben. Denn wenn man wieder in die Pubertät kommt, auch wenn sie dieses Mal gewollt ist, hat man plötzlich ziemlich viel Redebedarf.